Ein Bahn-Dossier warnt vor einer Kostenexplosion bei Stuttgart 21. Im schlimmsten Fall drohen Mehrkosten von über drei Milliarden Euro.

Stuttgart - Laut einer bahninternen Studie, die dem Hamburger Magazin "Stern" vorliegt, drohen dem umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 im schlimmsten Fall Mehrkosten von mehr als drei Milliarden Euro. Wie der Autor Arno Luik in der am Donnerstag erscheinenden Ausgabe schreibt, geht dies aus dem 130 Seiten starken Risikodossier hervor, das am 25. März 2011 - zwei Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg - vorgelegt und in der für Stuttgart 21 zuständigen DB Projektbau diskutiert worden sei.

 

Das Papier mit dem Titel "Chancen und Risiken" listet demnach insgesamt 121 Risiken auf, 48 davon werden mit konkreten Kosten beziffert. Letztere summieren sich, wie Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) am Wochenende erklärte, auf rund 1,2 Milliarden Euro. Laut vom "Stern" zitierten projektkritischen Experten könnte im schlechtesten Fall eine weitere Kostensteigerung um zwei Milliarden Euro für die von der DB Projektbau aufgelisteten weiteren 73 Positionen drohen.

Ein Bahnsprecher erklärte auf Anfrage, der Bericht ignoriere die Klarstellung der Bahn aus der vergangenen Woche. Am vergangenen Freitag hatte die StZ über einen Brandbrief des Projektleiters Hany Azer an den DB-Konzernvorstand berichtet, in dem dieser vor erheblichen Kostenrisiken gewarnt hatte. Bahn-Technikvorstand Volker Kefer hatte die Existenz des Schreibens bestätigt; die Bahn hatte zugleich erklärt, die während der Schlichtung präsentierten Projektkosten hätten "nach wie vor Bestand". Es sei Beleg einer erfolgreichen Projektpolitik, alle erdenklichen Risiken in Betracht zu ziehen, um gegensteuern zu können. Bei der jetzt zitierten Studie handele es sich lediglich um einen regelmäßigen Bericht der Projektleitung an die Bauherren. Der Bahn-Sprecher versicherte, in den vergangenen Wochen seien bereits erhebliche Einsparpotenziale erzielt worden.

Bedenken in technischer und planerischer Hinsicht

Azers Brief war offenbar die Kurzversion jener Expertise, über die Kefer laut Stern "geschockt" gewesen sein soll, als er davon Kenntnis erhielt. In dem Papier sind aber offenbar nicht nur mögliche Kostensteigerungen aufgelistet, die durch von Bahn-Chef Rüdiger Grube zu hoch angesetzten Einsparpotenziale entstehen könnten. Vielmehr geht es auch um handfeste Bedenken in technischer und planerischer Hinsicht. So hat etwa die Firma Wolff und Müller Zweifel an der Statik des Bonatzbaus geäußert und die technische Machbarkeit der Untertunnelung in Frage gestellt. Probleme soll es laut dem Bericht auch beim Baugrund und der Hydrologie geben. Zudem habe sich für den geplanten Tunnel nach Bad Cannstatt bisher keine ausführende Firma finden lassen, weil der Baugrund zu kompliziert sei und das Daimler-Werk in Untertürkheim tangiert werde.

Unterdessen hat Bundesverkehrsminister Ramsauer die künftige grün-rote Landesregierung zwei Tage vor Beginn der Koalitionsverhandlungen über S 21 aufgefordert, sich zu dem milliardenschweren Bahnprojekt zu bekennen: "Geschlossene Verträge müssen eingehalten werden", so Ramsauer am Dienstag bei der Hauptversammlung der Bahn AG in Berlin.

Bahn-Chef Grube sagte, die in Bahn- und Grünen-Kreisen als Kompromiss gehandelte Idee einer Trennung von Neubaustrecke und Tiefbahnhof sei "keine realistische Variante". Es gehe nicht um eine Anbindung der Stadt Ulm an den Stuttgarter Flughafen, sondern an den Hauptbahnhof. Diese sei nicht zu haben, wenn allein die ICE-Trasse gebaut werde. Grube widersprach damit Ramsauer, der sich diese Variante zuletzt zu eigen gemacht hatte.