Studie zur Debattenkultur Umgangston im baden-württembergischen Landtag ist rauer geworden

Im Landtag wird debattiert und abgestimmt. Es wird aber zunehmend auch gepöbelt, geschimpft und gestritten. Eine Studie zeigt nun schwarz auf weiß: Der Ton ist rauer geworden im sogenannten Hohen Haus.
Stuttgart - Es gibt Tage im baden-württembergischen Landtag, da greift Parlamentspräsidentin Muhterem Aras fast im Minutentakt zur massiven goldenen Handglocke auf ihrem Pult. Es ist ihre tönende Waffe, wenn es mal wieder zu laut und zu ruppig wird im Plenum zu ihren Füßen. Das ist immer häufiger der Fall, wie eine Studie des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim herausgefunden hat. Was die Sprach- und Politikwissenschaftlerin Heidrun Kämper in ihrer Studie im Auftrag von Deutschlandfunk und Südwestrundfunk auflistet, das ziemt sich eigentlich nicht für ein Hohes Haus, als das sich der Landtag gerne sieht.
Die Debattenkultur im baden-württembergischen Landtag habe sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert, bilanziert Kämper. Der Ton sei mit dem Einzug der AfD im Jahr 2016 rauer geworden, die Zahl der Zwischenrufe gestiegen und empörte Diskussionen nähmen zu, heißt es in der Arbeit. Kämper hat dazu 125 Plenarprotokolle der laufenden Legislaturperiode bis Juli 2020 mit allen entsprechenden Mitschriften der vorherigen verglichen.
Mittlerweile setzten einzelne Abgeordnete ihre Provokationen strategisch ein
Auch Aras ist der neue Tonfall aufgefallen. Sie hat einen besseren Umgang miteinander angesichts der Pöbeleien und Provokationen bereits wiederholt angemahnt. „Heftige Schlagabtausche gab es auch früher“, sagt die Grünen-Politikerin der dpa. „Aber sie waren doch meist von gegenseitigem Respekt geprägt.“ Mittlerweile setzten einzelne Abgeordnete ihre Provokationen strategisch ein. Sie inszenierten ihre Auftritte vor allem für die eigene Anhängerschaft und übernähmen dabei eine Opferrolle. „Es soll der Eindruck erweckt werden, dass man sie diskriminiert und in ihren Rechten als Abgeordnete beschneidet“, sagt die Landtagspräsidentin. „Es geht ihnen letztlich darum, das Parlament vorzuführen und die parlamentarische Demokratie verächtlich zu machen.“
Für Aufsehen sorgt vor allem der parteilose Abgeordnete Heinrich Fiechtner, der einst der AfD angehörte, der den Landtag auch schon mal als „Schatzbude“ und „verkommenes Volk“ beleidigt und Aras vorwirft, sie gebärde sich wie die Vorsitzende einer Reichsschrifttumskammer. Fiechtner kassiert regelmäßig Ordnungsrufe. Ende April musste er in einem inszenierten Eklat sogar von mehreren Polizisten aus dem Saal geführt werden. Ein Novum in der Geschichte Baden-Württembergs.
Der Begriff „Nazi“ kam dreimal so oft vor
Sprache, Umgangston und Themen - vieles habe sich gewandelt, sagt Kämper, die den Arbeitsbereich Sprachliche Umbrüche am Leibniz-Institut leitet. Es werde deutlich mehr provoziert und beleidigt. „Es geht ja nicht um politische Inhalte, um politische Aussagen, sondern es geht um Inszenierungen“, sagt Kämper. Während zum Beispiel in der laufenden Legislaturperiode bisher 135 Mal das Wort „Ordnungsruf“ gefallen ist, kam es in der Legislatur zuvor nur zweimal vor. Um Ruhe gebeten wurde 137 Mal, in der Legislaturperiode zuvor war dies nur 39 Mal der Fall.
Außerdem wurden die Themen Antisemitismus und Rassismus wesentlich häufiger als zuvor erwähnt. Allein der Begriff „Nazi“ kam dreimal so oft vor wie in der vorherigen Legislaturperiode - nimmt man Wörter mit ähnlicher Richtung wie etwa „Nazivergleiche“ dazu, sind es noch mehr, zitieren Deutschlandfunk und SWR aus der Studie. Mehr als doppelt so oft wie in der vorherigen Periode fielen Begriffe wie Demokratie, Demokratieverständnis, Demokratischsein. „Das hat sehr viel damit zu tun, dass einerseits die AfD sich ja selbst zuschreibt: „Wir sind die wahren Demokraten“. Und dass andererseits die anderen vier Fraktionen der AfD antidemokratisches Verhalten vorwerfen“, sagt Kämper.
„Das Ordnungsrecht hat sich in der zu Ende gehenden Wahlperiode bewährt.“
Aras und Landtagsvizepräsidentin Sabine Kurtz (CDU) wehren sich mit der Glocke schlagend gegen Zwischenrufe vor allem aus den Reihen der AfD und ihrer früheren Abgeordneten. Der Studie zufolge wurden seit 2016 insgesamt 35 Ordnungsrufe gegen Abgeordnete verhängt, mindestens einen weiteren kassierte Fiechtner bei der Sondersitzung des Landtags am Montag.
Aber die parlamentarische Demokratie sei nicht wehrlos, wenn Grenzen eindeutig überschritten würden, sagt Aras. „Das Ordnungsrecht hat sich in der zu Ende gehenden Wahlperiode bewährt.“ Kämper ist da weniger optimistisch: „Der Ordnungsruf ist ein zahnloser Tiger“, meint sie dazu dem SWR und Deutschlandfunk zufolge.
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