Die deutschen Familienunternehmen bescheinigen Staaten wie Russland, der Türkei und China große Fortschritte. Doch in wichtigen Bereichen bestünden noch Defizite.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Die Alarmglocken schrillen zwar noch nicht, als „Weckruf“ sieht die Stiftung Familienunternehmen ihre aktuelle Studie aber schon. „Wir brauchen eine neue Reformdynamik, sonst droht Deutschland im internationalen Standortwettbewerb abgehängt zu werden“, prophezeit Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung. Die Konkurrenz der Schwellenländer für etablierte Standorte von Familienunternehmen wachse stetig, die Attraktivität ambitionierter Länder habe sich alles in allem verbessert. Meist seien auch bei der Produktivität deutliche Steigerungen zu erkennen, die Schwellenländer reduzierten zudem ihre staatliche Kontrolle der Märkte. Sie arbeiteten „seit Jahren daran, ihre Standortbedingungen zu verbessern“, sagt der Stiftungsvorstand, der auch Partner in der Stuttgarter Kanzlei Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz ist.

 

Tatsächlich haben die vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) untersuchten sieben wichtigen Schwellenländer seit der letzten ähnlichen Studie von 2017 mit zwei Ausnahmen ihre Standortbedingungen für Familienunternehmen verbessert. Russland verteidigt dabei Platz eins als attraktivstes Schwellenland, die Türkei rückt von Rang vier auf Rang zwei vor und tauscht den Platz mit dem abgerutschten Südafrika. Südafrika und Mexiko werden vom ZEW aktuell sogar noch schlechter eingestuft als 2017. China hält Platz drei, Schlusslichter im Ranking bleiben Indien und Brasilien, obwohl diese Länder etwas bessere Noten erhielten.

Russische Beschäftigte sind gut ausgebildet

Russland kann seinen ersten Platz vor allem dank preiswerter Energie, aber auch wegen seiner Infrastruktur sowie geringer Arbeitskosten, guter Qualifikation der Beschäftigten und relativ hoher Produktivität verteidigen. Als „Schwachstelle“ stellt die Untersuchung dagegen die politische Entwicklung mit einer als autoritär eingestuften Führung heraus. Deshalb erhält Russland im Bereich „Institutionen“, der die politische und rechtliche Situation umschreibt, die zweitschlechteste Note unter den untersuchten Ländern. Noch schlechter wird in dieser Hinsicht – vor allem wegen der hohen Kriminalität und verbreiteter Korruption – nur Mexiko eingestuft.

Doch trotz Kritik an der russischen sowie der ebenfalls als autoritär beurteilten türkischen Führung sehen die Verfasser der Studie „ein beträchtliches Potenzial“ für eine Verbesserung der Geschäftsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und diesen beiden Ländern. Mit Blick auf Russland formulieren sie vorsichtig: „Es wäre wünschenswert, dass die neue Europäische Kommission sehr bald Perspektiven für eine Wiederannäherung entwickelt.“ Eine Aufhebung der wegen des Ukrainekonflikts verhängten EU-Sanktionen wird in der Studie nicht direkt gefordert.

Produktivität in China lässt zu wünschen übrig

Im Falle Chinas stellen die Autoren fest, dass sich politischer Allmachtsanspruch der Kommunistischen Partei und die Förderung liberaler Märkte „nicht ausschließen müssen“. Im Gegenteil: Der Überwachungsstaat mit seiner Einschränkung der persönlichen Freiheit kann laut der Studie einzelne Standortfaktoren sogar positiv beeinflussen – so erhält China gute Noten für die Bekämpfung von Schattenwirtschaft, Korruption und Kriminalität. Recht schlecht schneidet China als das Schwellenland mit der höchsten Einwohnerzahl aber bei der Arbeitsproduktivität, der Infrastruktur und wegen der in den vergangenen Jahren gestiegenen Löhne ab.

Südafrika, das am weitesten industrialisierte Land des Kontinents, ist wegen der schlechten Energieversorgung und der regelmäßigen Stromausfälle, aber auch wegen hoher Energiepreise sowie eines relativ hohen Ausstoßes klimaschädlicher Emissionen vom zweiten auf den vierten Platz abgerutscht. Dazu kommen Korruptionsvorwürfe gegen den 2018 zum Rücktritt gezwungenen Staatspräsidenten Jacob Zuma.

Kritik an Korruption in Mexico

Bei der Betrachtung Mexikos wird das relativ liberale wirtschaftliche Umfeld positiv betont. Negativ stechen die hohen Steuern, die Infrastruktur, die hohe Kriminalitätsrate, Korruption und die „ausgeprägte Schattenwirtschaft“ hervor. Nach langen Streitigkeiten haben sich die USA, Mexiko und Kanada Ende 2019 auf ein Handelsabkommen als Nachfolger des von US-Präsident Donald Trump heftig attackierten Freihandelsabkommens Nafta geeinigt. Bei dem Schwellenland mit der zweithöchsten Einwohnerzahl, Indien, werden die politische Situation und die persönliche Sicherheit gelobt. Schlusslicht der Rangliste ist Indien in Sachen Steuern – in keinem der analysierten Schwellenländer seien diese höher. Brasilien, das größte Land Südamerikas, bleibt Schlusslicht der Ländertabelle. Als relativ ordentlich werten die Autoren die Energieversorgung. Besonders schlecht seien dagegen die restriktive Regulierung der Wirtschaft mit vielen bürokratischen Hemmnissen sowie die Infrastruktur.

Der Aufholprozess ist robust

Die Schwellenländer hätten trotz der Fortschritte noch einen weiten Weg vor sich, um etwa bei der Qualifikation der Beschäftigten oder der Infrastruktur „auch nur annähernd“ das Niveau der Industriestaaten zu erreichen, heißt es. In einzelnen wirtschaftlich starken Regionen innerhalb eines Landes seien zwar die digitale Infrastruktur sowie das Verkehrsnetz ausgezeichnet. Dies sei aber nicht repräsentativ für das gesamte Land. So müsse etwa China noch kräftige Anstrengungen unternehmen, um das europäische Bildungsniveau zu erreichen. Fazit der Studie: Die Schwellenländer kommen voran. Der Aufholprozess verlaufe langsam, „aber er ist robust“.