Immer weniger Studierende beantragen Bafög. Im hochpreisigen Stuttgart geht ohne Nebenjob kaum etwas. Vier Studierende berichten, wie sie über die Runden kommen.

Stuttgart - Studieren kostet. Wie viel, das wird gerade in einer neuen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks bundesweit ermittelt. Am 1. August wurde der Bafög-Höchstsatz von 670 auf 735 Euro angehoben, der Wohngeld-Zuschlag von 224 auf 250 Euro – unabhängig vom Studienort – und die Einkommensfreibeträge der Eltern wurden um sieben Prozent erhöht. In den vergangenen Jahren ging die Zahl der Antragsteller kontinuierlich zurück – auch in Stuttgart. Im vergangenen Jahr waren es dort nur noch 9458, wie das Studierendenwerk Stuttgart mitteilt. Und dies, obwohl die Zahl der Studierenden in den vergangenen Jahren permanent zugenommen hat.

 

„Für uns wäre es der richtige Weg, wenn es eine regelmäßige Anpassung an Lohnentwicklung und Inflationsrate gäbe“, sagt Melanie Westphal, Marketing-Leiterin des Studierendenwerks Stuttgart. Dessen Geschäftsführer Tobias M. Burchard erklärt: „Da seit der letzten Novelle allerdings sechs Jahre vergangen sind, kann von einer Anpassung an die Lohnentwicklung und von einem Inflationsausgleich nicht die Rede sein.“

Denn die Lebenshaltungskosten steigen permanent, der größte Brocken sind die Kosten fürs Wohnen. Das schlägt in der Landeshauptstadt Stuttgart besonders zu Buche, zumal es dort immer schwieriger wird, auf dem privaten Wohnungsmarkt eine bezahlbare Bleibe zu finden. Das betrifft allerdings nicht nur Studierende.

In Stuttgart zahlen diese für einen Wohnheimplatz des Studierendenwerks Stuttgart zwischen 200 Euro warm in der Heilmannstraße und 399 in dem nagelneuen Wohnhaus in der Rosensteinstraße. Doch auch in privaten Wohngemeinschaften kommt man kaum günstiger weg. Viele Studierende bessern ihr Einkommen mit einem oder mehreren Nebenjobs auf, um über die Runden zu kommen. Doch die Landeshauptstadt bietet diesbezüglich auch Vorteile, wie eine Studentin festgestellt hat: „Hier findet man auf jeden Fall leichter einen Nebenjob als in kleineren Studienorten.“

Das Studierendenwerk rät den jungen Leuten, sich über Bafög und weitere Möglichkeiten der Studienfinanzierung zu informieren. Sebastian Matschke, der Leiter des Amts für Ausbildungsförderung, empfiehlt Studierenden, „die Möglichkeiten des Bafög ausschöpfen und so auf einen Nebenjob verzichten zu können“. Zudem sei es günstiger, nicht in, sondern außerhalb Stuttgarts eine Wohnmöglichkeit zu suchen. Auch das Angebot sei dort größer.

Laut der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 2012 verfügte ein Durchschnittsstudent über 864 Euro im Monat. 32 Prozent der Studierenden erhielten Bafög, sechs Prozent nahmen einen Kredit in Anspruch.

Selber kochen

Rebecca Hartmann (27) studiert Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Technik. „Man kann sicher günstiger leben als ich – aber unter 1000 Euro im Monat kommt man nicht hin.“ Davon ist Rebecca Hartmann überzeugt. Die 27-Jährige steht kurz vor ihrer Bachelorarbeit in Wirtschaftspsychologie. Für ihr 20 Quadratmeter großes WG-Altbauzimmer beim Marienplatz zahlt sie 400 Euro warm, Wohn-, Esszimmer, Küche und Bad teilt sie sich mit zwei Mitbewohnern. „Glück gehabt“, sagt sie, die aus der Nähe von Schaffhausen kommt. „Wohnungen sind schon teuer hier.“

Zuvor hatte sie nach der Realschule eine Ausbildung als Bankkauffrau gemacht, zwei Jahre bei einer Sparkasse im Marketing gearbeitet, dann das Abi nachgeholt. „Ich wollte was Richtung Psychologie machen“, erzählt Hartmann in ihrer sonnigen, kleinen Dachküche, „und es war klar, dass nur eine staatliche Hochschule in Frage kam“. Im Sommersemester habe sie sich die 200 Euro für das Studiticket immer gespart – „da bin ich mit dem Fahrrad zur Hochschule“. Bei den Heimfahrten zu den Eltern alle zwei Monate schaut sie nach günstigen Zugtickets, aber 40 Euro hin und zurück koste das schon. Um sich einen Laptop für 1000 Euro zu leisten, verkaufte sie ihren Opel Corsa. Für studienrelevante Bücher gibt sie rund 15 Euro im Monat aus. „Es wird immer noch verlangt, dass man Bücher als Quellenangaben benutzt, nicht nur irgendwelche Internetquellen.“ Für Prepaid-Handy und W-Lan rechnet sie zwölf Euro – „im Normalfall skype ich halt“.

Bei Kosmetik und Klamotten wird sie schwach

Um die 165 Euro Semestergebühr kommt sie nicht herum, für Versicherungen zahlt sie 80 (Kranken-), sechs (Haftpflicht) und 14 Euro (Berufsunfähigkeit). Für Lebensmittel rechnet sie 200 Euro im Monat – „ich koch halt immer selber und ich ess kein Fleisch, kauf meist im Bioladen ein“. Für Kosmetik gehen 50 Euro drauf, für Klamotten 150 – im Monat. Und das Yoga-Training ist ihr 60 Euro im Monat wert. „Mein Erspartes ist komplett weg.“ Als Monatseinkommen erhält sie 700 Euro von den Eltern und seit Juni 600 Euro als Werkstudentin bei Bosch – für zehn Stunden die Woche, in den Semesterferien 25 Stunden.

„Insgesamt 1300 Euro, das geht gut.“ Davor hat sie beim DM acht Stunden die Woche gearbeitet. Ein 4oo-Euro-Job. Ein Jahr erhielt sie ein HfT-Stipendium mit 100 Euro im Monat, auch wegen ihres Engagements bei der mobilen Jugendarbeit. Und was ist mit Partys? „Da braucht man halt das, was noch übrig ist.“

Alles per Fahrrad

Sarah Graf (23) studiert Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim. „Mit 800 Euro komme ich aus - meist ist sogar am Ende des Monats noch was übrig“, sagt Sarah Graf. Seit einem Jahr wohnt die Studentin der Agrarwissenschaften, viertes Semester, in einer Dreier-WG in Schönberg. 345 Euro warm kostet das Zehn-Quadratmeter-Zimmerchen in Edelwohnlage mit Gemeinschaftsräumen, Terrasse und großem Garten. „Ich fahr viel Fahrrad, auch zur Uni, weil hier die Busanbindung schlecht ist“, sagt sie. „Das geht schneller und ist vor allem kostenlos.“ Für größere Transporte nutzt sie den Fahrrad-Zwillingsanhänger, in dem sie bereits als Baby saß. „Der ist WG-tauglich – da passen drei Kisten Bier rein.“ Um Höhenmeter zu vermeiden, holt sie die Getränke aus Degerloch, nicht aus Birkach. Den monatlichen WG-Verbrauch an Getränken beziffert Graf mit 45 Euro: eine Kiste Bio-Bier und acht Flaschen Wein pro Monat. Dazu kommen noch zwölf Euro für Kaffee und Kaffeetrinken gehen.

Rund 80 Euro im Monat gehen für Lebensmittel drauf – möglichst Bio und wenig Fleisch. „Wir kaufen gemeinsam ein und wir kochen selber zusammen, und zwar so, dass wir am nächsten Tag was in die Uni mitnehmen. Da wird selten was schlecht.“ Nur vor den abendlichen Asta-Sitzungen, wo sie Mitglied ist, holt sie sich was vom Bäcker, aus der Mensa oder einen Döner – macht zwölf Euro im Monat. Auf ein Smartphone verzichtet sie, ihr altes Nokia koste acht Euro im Monat. Kosmetik? „Benutz ich nicht“, sagt die 23-Jährige. Und Klamotten? „Ich bin seit fünf Jahren ausgewachsen, das braucht Zeit, bis die kaputt gehen. Sonst kauf ich second hand.“ Und aus gehe sie im Wesentlichen in die TMS (Thomas-Müntzer-Scheuer). Zudem habe sie „nicht so viel Zeit, viel zu konsumieren“. Heimfahrten nach Blaubeuren unternimmt sie nach 18 Uhr, denn da ist Bahnfahren im VVS-Bereich für Studenten kostenlos, da in den 163 Euro Semestergebühr enthalten.

Ihre Eltern, über die sie auch versichert ist, übernehmen die Miete plus 250 Euro zum Leben – „das würden Leute mit Bafög auch bekommen“, sagt Graf. Zwei Semester lang hat sie als Tutorin gejobbt für 180 Euro im Monat und sechs Stunden die Woche. Als Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes bekommt die 1,o-er Abiturientin während des gesamten Bachelor-Studiums 300 Euro im Monat. Zu ihrer Mitarbeit im Asta meint sie: „Das kann man bloß machen, wenn man sich’s leisten kann.“

Wasser trinken

Erik Bömeke (24) studiert Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Technik. „Wir leben ziemlich spartanisch“, sagt Erik Bömeke. Er komme mit weniger als 800 Euro aus. Der Student der Wirtschaftsinformatik, viertes Semester, lebt mit seiner Freundin in einer Zweizimmer-Wohnung in Oberaichen. Sie teilen sich die 750 Euro Warmmiete für die 50 Quadratmeter, den Stellplatz haben sie für 20 Euro untervermietet. Zur Hochschule in der Innenstadt fährt Bömeke mit der S-Bahn. „Für mich bringt’s dieses Studiticket ab 18 Uhr nicht“, sagt der 24-Jährige aus Hessen. „Wenn ich morgens Vorlesung hab, brauch ich ein Extraticket.“ Das kostet 200 Euro pro Semester. „Ich habe auch ein Fahrrad – das steht im Keller, und da steht es gut“.

40 Euro im Monat gibt er fürs Mensaessen aus, 30 für Einkäufe beim Bäcker und Metzger, 60 für weitere Lebensmittel. Genügsam ist der Student beim Durst. Es gebe weder Bier noch Wein. „Wir trinken hauptsächlich Leitungswasser.“ Auch für Kleidung gebe er selten Geld aus. Die Flatrate fürs Handy schlage mit 25 Euro pro Monat zu Buche, die 44 Euro fürs W-Lan teilt er sich mit der Freundin. Beim Freizeitvergnügen Badminton ist er mit acht Euro im Monat dabei. Die Heimfahrten zum Vater nach Aachen übernehme dieser, zur Mutter nach Frankfurt könne er oft bei einer Freundin mitfahren, so fielen dafür kaum Extrakosten an.

„Bafög krieg ich leider nicht mehr, weil ich nach dem vierten Semester mein Informatikstudium an der Uni Stuttgart abgebrochen habe – ohne einen unabweisbaren Grund“, sagt Bömeke. Er sei damit nicht zurechtgekommen. Den Wechsel an die Hochschule für Technik habe er „nicht bereut – ich bin jetzt super zufrieden“. Die Finanzierung laufe über einen Kredit von monatlich 400 Euro auf sechs Semester. Statt Bafög erhalte er 200 Euro Wohngeld. Dazu kommen 186 Euro Kindergeld. Jobben schaffe er zeitlich nicht, da er auch Mitglied in Fachschaft und Fakultätsrat, Semestersprecher und Ersatzmitglied im Senat sei. „Ich wollte mich auf mein Studium konzentrieren, und das hat sich auch gelohnt.“ Auch in Form eines Deutschland-Stipendiums mit 300 Euro und eines Sonderstipendiums der Hanns-Voith-Stiftung mit 200 Euro im Monat, beide für ein Jahr. Doch diese laufen im September und Dezember aus. „Und ab Januar krieg ich auch kein Kindergeld mehr und muss meine Krankenkasse selbst bezahlen. Jetzt hoffe ich auf einen Job als Werkstudent und auf ein zweites Deutschland-Stipendium.“

Mit Zusatzjob

Anna Müller (Name geändert) (26) studiert Bauingenieurwesen an der Hochschule für Technik. „700 Euro brauch ich im Monat“, sagt Anna Müller. Die 26-Jährige räumt aber ein: „Dann bist du aber noch nicht oft weggegangen.“ Dass sie in Bad Cannstatt eine Einzimmer-Wohnung der Baugenossenschaft erwischt hat, nennt sie „einfach Glück“. 450 Euro warm zahlt sie für die 32 Quadratmeter inklusive W-Lan, das sie sich mit einer Nachbarin teilt. Die angehende Bauingenieurin im fünften Semester kocht selber – „möglichst Bio und regional – ich bin relativ genügsam“. Aber Fleisch holt sie nur beim Metzger, manchmal auch von daheim, in Wäschenbeuren. An die Hochschule kommt sie normalerweise mit dem VVS-Semesterticket – für 200 Euro. Doch jetzt, während ihres Praxissemesters bei einer Baufirma, ist sie im Dienstwagen unterwegs – „die Baustellen sind ja in und um Stuttgart verteilt“. Dass es sie in den Baubereich ziehen würde, hatte sie bei ihrer Ausbildung zur Immobilienkauffrau gemerkt, aus dieser Zeit habe sie auch „etwas sparen können“. Um die Krankenversicherung kommt sie nicht herum – macht 89 Euro im Monat. „Mehr schaff ich nicht“, sagt sie. „Dabei wär auch eine Versicherung zur Berufsunfähigkeit gut.“ Das Handy schlägt mit 25 Euro zu Buche, der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) überweist sie 15 Euro im Monat, für Fitness gibt sie zehn Euro aus. Für Kosmetik und Kleidung bleibe kaum etwas übrig.

„Mein Bafög ist ausgelaufen“, berichtet sie – wegen ihres Einkommens. Während ihres Praxissemesters erhalte sie ein halbes Jahr lang, bis Ende Januar eine monatliche Vergütung von 900 Euro brutto, für eine 41-Stunden-Woche – „damit decke ich meine Kosten“. Deshalb habe sie ihren Job als Verkäuferin und Beraterin in einem Stuttgarter Bettenladen zurückgefahren und arbeitet dort nur noch jedes zweite Wochenende – macht knapp 200 Euro im Monat . „Eine Sechstagewoche, das ist ok“, sagt sie, „man ist weg vom ganzen Lernstress und verdient nebenher noch Geld.“ Von den Eltern erhalte sie keines – „ich krieg’s ja selber gebacken“, meint sie. Dass sie bis vor kurzem Deutschland-Stipendiatin war und jeden Monat 300 Euro bekam, „das hat mir wirklich sehr geholfen“. Dass sie zudem auch ein Stipendium der Hanns-Voith-Stiftung erhält – bis Ende 2016 monatlich 200 Euro – „das dürfen Sie nicht schreiben“. Ihr Hobby ist ihre Mitarbeit bei der deutschlandweiten Initiative „Arbeiterkind“ – „wir unterstützen auch andere Studis“.