Weil sie am Rand des Rosensteinparks Bäume nicht fällen darf, denkt die Bahn an dieser Stelle über neue Bauverfahren nach. Der betroffene Abschnitt gilt nun auch als zeitlich kritisch.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Neben dem Abschnitt rund um den Flughafen gibt es bei Stuttgart 21 nun an der Ehmannstraße einen zweiten Bereich, der zeitkritisch ist. Zehn Bäume stehen der Bahn dort beim Bauen im Weg. Doch die Gehölze sind Heimat unter anderem des Juchtenkäfers. Die Bäume sind deshalb solange tabu, bis geklärt ist, was aus der Insektenpopulation wird, wenn die Gewächse fallen sollten. Das wird für die Bahn nun zum Zeitproblem. Gefällt werden darf – eine Genehmigung vorausgesetzt – nur in der sogenannten vegetationslosen Periode. Die endet mit dem 1. März. Der Baumgruppe am Rande des Rosensteinparks wurde im vergangen Winter schon einmal eine Gnadenfrist eingeräumt. Nun könnten sie stehen bleiben. Die Bahn denkt über eine Alternativplanung nach. „Es sind keine Baumfällungen in der laufenden vegetationsfreien Periode vorgesehen“, sagt ein Sprecher des Kommunikationsbüros auf Anfrage. „Für den Kreuzungsbereich der Bauwerke werden aktuell alternative bergmännische Bauweisen untersucht“.

 

Schon im vergangenen Frühjahr hatte der mittlerweile ausgeschiedene Projektsprecher Wolfgang Dietrich prognostiziert, dass der Terminplan fürs Gesamtprojekt ins Wanken geraten könnte, wenn die Bäume nicht bis Ende Februar 2015 gefällt worden sind. „Der Abschnitt ist weiterhin auf einem zeitkritischen Weg“, heißt es nun auch von Seiten des Kommunikationsbüros.

Bahn hofft die Arbeiten straffen zu können

In den Unterlagen der jüngsten Lenkungskreissitzung vom Oktober 2014 las sich das noch anders: „PFA 1.5 weitere Verzögerungen – nicht auf dem kritischen Pfad“, stand da zusammenfassend, wobei das Kürzel „PFA 1.5“ für den Abschnitt zwischen Hauptbahnhof, Feuerbach und eben auch Bad Cannstatt steht, jener Passage, in denen die Bestimmungen des Artenschutzes nun den Bahnplanern Kopfzerbrechen bereiten. Damals stellte man unter der Rubrik „Trend“ sogar noch einen „Zeitgewinn“ durch die Umstellung des Bauverfahrens in Aussicht. Eine Meinung, die das Kommunikationsbüro auf Nachfrage bekräftigt: „Anhand der derzeit untersuchten technischen Alternativen und durch mögliche Optimierungen des Bauablaufs können mögliche Verzögerungen abgefangen werden.“

Derzeit lassen sich aber weder Aussagen über die Art der geänderten Bauweise treffen noch die Frage beantworten, ob dies auf Grundlage des geltenden Baurechts, das die Bahn besitzt, aber nicht ausüben kann, geschehen kann. „Aktuell befinden sich die alternativen technischen Lösungen noch im Planungsstand. Insofern können keine Aussagen zum Verfahren und der Verfahrensdauer gemacht werden“, lautet die Auskunft der Bahn.

Komplexer Bauabschnitt

Der Bereich an der Ehmannstraße ist selbst für Stuttgart-21-Verhältnisse bemerkenswert komplex. Auf engem Raum sollen gleich zwei große Baugruben geöffnet werden. In einer davon werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich an dieser Stelle vier Tunnelröhren unterirdisch kreuzen können. Dabei unterqueren die neuen S-Bahn-Tunnel zwischen den Stationen Mittnachtstraße und Bad Cannstatt in einer Tiefe von 25 Meter unter der Erdoberfläche die Fernbahngleise von Bad Cannstatt zum neuen Durchgangsbahnhof, über denen sich noch rund 14 Meter Erdreich auftürmen. Kreuzungsbauwerk nennen die Planer dieses Geflecht unterirdischer Röhren. Die Komplexität des Vorhabens erfordert an der Nahtstelle zwischen Abstellbahnhof und Rosensteinpark besonders große Baugruben. Um für die Platz zu schaffen, muss die Ehmannstraße vorübergehend ein Stück in die Parkfläche hineinverschoben werden. Laut ursprünglichen Zeitplan, den die Bahn im April 2013 vorgelegt hatte, hätte die Straßenverlegung bis Oktober 2013 über die Bühne gegangen sein sollen. Jetzt, knapp anderthalb Jahre später, ist davon noch wenig zu sehen – auch hier stößt die Bahn wieder auf den Artenschutz. „Die Ehmannstraße wurde bisher noch nicht verlegt, da in diesem Bereich die Bäume mit der vorgenannten Population stehen“, sagt der Sprecher des Kommunikationsbüros.

Beim Bau von S 21 stellt der Artenschutz die Bahn immer wieder vor Herausforderungen. Der Juchtenkäfer ist dabei nur das prominenteste Tier. Verschiedene Eidechsenarten mussten umgesiedelt werden. Beim Teilabriss der ehemaligen Bahndirektion an der Heilbronner Straße machte ein dort brütendes Turmfalkenpaar den Bauarbeitern vorübergehend einen Strich durch die Rechnung. In einem Baggersee bei Wendlingen wurden nun Biber gesichtet. Am Rand des Gewässers sollen die beiden Teilprojekte S 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm verknüpft werden. In der Ausgabe April 2014 des Projektmagazins „Bezug“ hatte Klaus-Peter Murawski, grüner Staatssekretär im Staatsministerium, im Hinblick auf den Juchtenkäfer gesagt: „Insofern gilt es auch den Juchtenkäfer zu schützen. Dennoch sind wir gut beraten, den Artenschutz nicht über alles zu stellen.“