Am Dienstag jährt sich der Beginn des Nordflügelabrisses für Stuttgart 21 zum fünften Mal. Massive Proteste begleiteten die Arbeiten im August 2010. Heute wirft der Enkel des Bahnhofserbauers dem Oberbürgermeister Fritz Kuhn Untätigkeit vor.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Am Montag ist schweres Gerät auf dem Kurt-Georg-Kiesinger-Platz im Einsatz. Die Bahn baut an Stuttgart 21. Einer der vielen Startschüsse für den milliardenschweren Umbau des Bahnknotens Stuttgart ist an gleicher Stelle vor genau fünf Jahren gefallen. Am Nachmittag des 25. August 2010 brach ein Abrissbagger die ersten Steine aus dem Nordflügel des Bonatzbaus unter dem lautstarken Protest zahlreicher Protestanten, die von einem starken Polizeiaufgebot von der Baustelle ferngehalten wurden – mit nur mäßigen Erfolg. Am späten Nachmittag enterten Aktivisten von Robin Wood und der Initiative Parkschützer das Dach des Nordflügels. Die Arbeiten mussten vorübergehend eingestellt werden.

 

Tags drauf beendete die Polizei die Besetzung. Da lag ein stürmischer Abend hinter der Stadt: Die Polizei schätzte die Menge, die sich am Abend zu einer Spontandemo gefunden hatte, auf 6000 Menschen, die Veranstalter sprachen von 30 000 Teilnehmern. Einige von ihnen zogen zur zeitgleich stattfindenden Eröffnung des Weindorfs und sorgten mit Sprechchören für die Begleitmusik zu der Veranstaltung. Die angespannte Lage sollte einen Vorahnung auf das geben, was noch folgte: 36 Tage nach jenem 25. August 2010 kam es zum Polizeieinsatz zur Räumung des Mittleren Schlossgartens, der mit zahlreichen Verletzten endete und als Schwarzer Donnerstag in die Stadtgeschichte eingegangen ist.

Vom Bahnhofstrog ist an dieser Stelle noch nichts zu sehen

Die selbe Perspektive fünf Jahre später. Foto: Lg/Achim Zweygarth

Fünf Jahre später hat sich einiges geändert: Der Nordflügel ist aus dem Stadtbild verschwunden, sein Pendant auf der Südseite des Gleisvorfelds gleichfalls. Vom Kurt-Georg-Kiesinger-Platz aus sehen Passanten ins Untergeschoss des Bahnhofs. Der Nordflügel musste dem unterirdischen Neubau des Technikgebäudes weichen, auf dessen Dach schon wieder Autos parken. Auf der Fläche des Seitentrakts führen Fußwege in Richtung des versetzten Querbahnsteigs, einen Teil des freigeräumten Areals nimmt das Netz der Baulogistikstraßen ein. Ehe es für den Bahnhofstrog an dieser Stelle in die Tiefe gehen kann, muss die Bahn noch den darunterliegenden S-Bahntunnel sichern, erklärt ein Sprecher des Kommunikationsbüros.

Bonatz-Enkel schreibt an den OB

Die Arbeiten an Stuttgart 21 verändern zusehends das Gesicht der Stadt – und auch der Protest hat sich gewandelt. Vorbei scheinen die Zeiten der Großdemonstrationen. Die S-21-Gegner halten sich zugute, zumindest die politischen Verhältnisse in Stadt und Land verändert zu haben – um gleich mit den neuen starken Männern hart ins Gericht zu gehen. So schreibt Peter Dübbers, Enkel des Bahnhofserbauers Paul Bonatz, in einem offenen Brief an OB Fritz Kuhn (Grüne), er solle „mit der starken Stellung im Gemeinderat, die Ihnen die Gemeindeordnung verleiht, mit aller Kraft und Ihrem rhetorischen Geschick für eine Änderung dieser Mehrheitsverhältnisse“ kämpfen, die bei Entscheidungen auf den verschiedenen parlamentarischen Ebenen stets für eine Fortsetzung der Umbauarbeiten am Bahnhof sorgten. „Ist es ein großes Konsensbedürfnis oder die Angst vor Niederlagen, die Sie davon abhält?“, fragt Dübbers den OB. Der Bonatz-Enkel hegt Zweifel an Kuhns Engagement in Sachen Stuttgart 21. Von seiner Ankündigung, mehr Transparenz von der Bahn einzufordern, sei nicht mehr viel zu erkennen. „Was ist davon geblieben, wenn Sie sich nicht einmal mit der Forderung durchsetzen konnten, die Frage der Bahnhofsturm-Gründung – Eisenbeton- oder doch Eichenpfähle? – mit einfachen Mitteln endgültig und nachprüfbar zu klären?“, fragt Dübbers, der am Abend bei der 285. Montagsdemonstration der S-21-Gegner sprechen wollte. Dübbers, selbst Architekt, fordert OB Fritz Kuhn auf, für den Bereich rund um den Bahnhof einen Wettbewerb unter Stadt- und Freiflächenplanern auszuloben. Die sollten bei ihren Entwürfen aber auch bedenken, dass womöglich auf einem Teil der oberirdischen Gleisanlagen auch nach Inbetriebnahme von Stuttgart 21 weiter Zügen rollen, weil der Tiefbahnhof nicht leistungsfähig genug sei.