Fünf Jahre nach der Schlichtung, bei der im Herbst 2010 im Rathaus um Stuttgart  21 gerungen wurde, treffen sich einige Kontrahenten von einst zur Baustellenführung. Boris Palmer macht den Ausflug öffentlich.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart -

 

Was waren das für Tage einst im Oktober 2010 in Stuttgart? Die Weltöffentlichkeit – zumindest der TV-Sender Phoenix – blickte aufs Rathaus der Landeshauptstadt, in dem so etwas wie ein Proseminar Eisenbahnbau stattfand: Die Schlichtungsgespräche zu Stuttgart 21, die dem Politpensionär Heiner Geißler die Gelegenheit gaben, als Moderator seinen Witz und seinen scharfen Verstand unter Beweis zu stellen.

Videoschnipsel besonders langatmiger und unverständlicher Erklärungsversuche erheitern die Netzgemeinde bis heute. Und die Recken von damals? Einigen von ihnen scheinen die Herbstage 2010 auch noch in guter Erinnerung geblieben zu sein. Fast pünktlich zum fünften Jahrestag gab es Anfang Oktober ein Ehemaligentreffen auf jener Baustelle, über deren Sinn und Unsinn sie so leidenschaftlich gestritten hatten.

Palmer macht das Treffen öffentlich

Das alles wäre der Öffentlichkeit verborgen geblieben, wenn nicht Tübingens OB Boris Palmer ein so ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis in den sozialen Netzwerken hätte. Das Bild, das der Grüne unter der Überschrift „Schlichtung im Tunnel“ veröffentlichte, zeigt ihn im Kreise fünf anderer Protagonisten des S-21-Schlagabtausches – allerdings nicht im Rathaus, sondern mit Bauhelm und Warnweste in einem Kleinbus auf Baustellentour: Bahn-Vorstand Volker Kefer, Schlichter Heiner Geißler, Ex-Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU), deren damaliger Amtschef Bernhard Bauer sowie Florian Bitzer, der sich 2010 noch bei den Stuttgarter Straßenbahnen arbeitend zumindest zeitweise ins Schlichtunsgetümmel warf und heute auf der Lohnliste der Bahn-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm steht.

Die Busfahrt ans Bauloch scheint Ausdruck jener vertrauensvoll-konstruktiven Zusammenarbeit zu sein, die sich nach Einschätzung von S-21-Chef Manfred Leger aus der ursprünglich von den Grünen postulierten kritisch-konstruktiven Haltung herausgebildet hat. „Die Ingenieurleistung ist beeindruckend“, schreibt Palmer seine Eindrücke von vor Ort nieder und hängt der Frage nach: „Wie sehe es heute aus, wenn die Schlichtung vor fünf Jahren anders verlaufen wäre?“

Geteilte Reaktionen

Berührungsängste mit Baustellendreck und Befürworterseite scheinen dem ehemaligen Stuttgarter OB-Kandidaten jedenfalls fremd. „Grüne, so sagt Kretschmann, fahren auch über Autobahnen, gegen die sie vorher demonstriert haben“, zitiert Palmer den Landesvater aus der eigenen Partei. „Das ist pragmatisch“, gibt er seinen Facebook-Lesern mit auf den Weg. Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus. Manche loben den Tübinger Rathaus-Chef für seine Haltung, andere wittern eine übergroße Flexibilität in den Überzeugungen.

Womöglich war aber auch alles ganz anders, und Palmer nutzte nur die Möglichkeit, um sich selbst zu bestätigen. Im Mai 2012 schrieb er in der „tageszeitung“: „Stuttgart 21 bleibt ein Fehler, aber den müssen wir jetzt machen.“