Die Bahn muss nicht nach Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs von Stuttgart 21 die bisherigen oberirdischen Anlagen zum Weiterbetrieb anbieten. Das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Projektkritiker setzten trotzdem weiterhin auf den Erhalt der Gleise.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die Stuttgarter Netz AG (SNAG) hat den Kampf um die oberirdischen Gleise am Hauptbahnhof verloren. Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) in Leipzig entschied am Donnerstag, dass die Bahn „nicht verpflichtet ist, Dritten die oberirdischen Anlagen des Stuttgarter Kopfbahnhofs nach Inbetriebnahme des Stuttgarter Tiefbahnhofs zur Weiternutzung anzubieten“, wie es in einer Mitteilung des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts heißt. Das BVG hat die Revision der SNAG zurückgewiesen (AZ: BVerwG 3 C 21.16). Die SNAG wollte erreichen, dass die Bahn vor Abbau der Anlagen ein Stilllegungsverfahren durchführt, in dessen Rahmen die Privatbahner ihr Interesse an der Übernahme hätten bekunden können. Nun geht dem Abbau lediglich ein Planfeststellungsverfahren voraus.

 

Enttäuschung bei den unterlegenen Privatbahnern

Bei der unterlegenen SNAG ist die Ernüchterung groß. „Wir sind tief enttäuscht, denn wir haben jahrelang gekämpft“, sagt SNAG-Chef Rainer Bohnet. Noch wisse man nicht, wie sich das Unternehmen nun positioniere. Bohnet baut nun darauf, im noch anstehenden Genehmigungsverfahren für den Abbau der Gleise seine Position einzubringen. „Wie auch immer das dann ausgestaltet ist“, so Bohnet.

Die Bahn begrüßt die Entscheidung in einer knapp gehaltenen Stellungnahme. Auf gerade einmal vier Zeilen heißt es unter anderem: „Das Bundesverwaltungsgericht folgte wie zuvor bereits das Verwaltungsgericht Stuttgart der Auffassung des Eisenbahn-Bundesamts und der Deutschen Bahn, dass es sich bei der Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart um einen Umbau und keine Stilllegung handelt.“ Anders als von der SNAG ins Feld geführt, stellte das Gericht fest: „Der Betrieb von Strecken wird nicht eingestellt.“ Sämtliche Verbindungen von und zum Hauptbahnhof blieben erhalten. Dabei machte sich das Gericht eine funktionale Sichtweise auf den Begriff Strecke zu eigen. Welche Orte eine Strecke kennzeichnen, beantworte sich nach der Verkehrsfunktion, so das Gericht. Dass die Kapazität einer Strecke gemindert werde, sei auch nicht erkennbar.

Stadt sieht nun Planungssicherheit

Im Rathaus hatte man die Auseinandersetzung aufmerksam verfolgt. Schließlich gehören die Gleisflächen seit Dezember 2001 der Stadt, die darauf den Rosensteinpark und den Schlossgarten erweitern will. Zudem plant sie neue Stadtviertel. OB Fritz Kuhn (Grüne) zeigt sich entsprechend erleichtert über das Urteil. Die Entscheidung stelle „nun eine sichere Grundlage für die Entwicklung des künftigen Rosensteinquartiers“ dar. „Das Areal ist eine einmalige städtebauliche Chance für Stuttgart. Der Gemeinderat hat den Städtebaulichen Ideenwettbewerb Rosenstein bereits beschlossen und auf den Weg gebracht.“

Für den Verkehrsclub Deutschland (VCD) stellt der letztinstanzliche Spruch aber keinesfalls den Schlusspunkt hinter der Debatte über die oberirdischen Gleisanlagen dar. VCD-Landeschef Matthias Lieb bezweifelt, dass die neue Infrastruktur bei Stuttgart 21 der gewünschten Zunahme des Schienenverkehrs gewachsen ist. „Luftreinhaltung und Klimaschutz erfordern eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bei Bus und Bahn. Schon heute kommt der öffentliche Verkehr in der Hauptverkehrszeit an die Kapazitätsgrenze.“ Ähnlich argumentiert das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Die Bahn werde „zumindest Teile des Kopfbahnhofs erhalten müssen, weil sie sonst den Interessen der Allgemeinheit und ihren Verkehrsbedürfnissen nicht würde entsprechen können“, sagt Eisenhart von Loeper, der Sprecher des Aktionsbündnisses.

Auch erste Instanz ging verloren

Die Stuttgarter Netz AG hatte 2015 ein Konzept vorgestellt, wie sie den Kopfbahnhof und die zu ihm führenden Strecken weiterbetreiben wolle. Im August 2016 entschied das Stuttgarter Verwaltungsgericht, dass die Klage der SNAG unzulässig sei. Die Privatbahner zogen daraufhin im Rahmen einer sogenannten Sprungrevision vors Bundesverwaltungsgericht. Mit dessen Urteil ist der Rechtsweg ausgeschöpft.