Im Mittleren Schlossgarten ist begleitet von Protesten der Grundstein für Stuttgart 21 gelegt worden – inklusive einer Broschüre der Projektgegner. Bahnchef Rüdiger Grube hält am Inbetriebnahmedatum fest. Christoph Ingenhoven sieht die Stadt in der Verantwortung für die städtebauliche Entwicklung.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Vor 300 geladenen Gästen ist am Freitagvormittag der Grundstein für den Durchgangsbahnhof bei Stuttgart 21 gelegt worden. Begleitet von „Lügenpack“-Rufen der Projektgegner wurde im Baufeld 16 des Bahnhofs eine Kapsel unter anderem mit Ausgaben der beiden Stuttgarter Tageszeitungen, einem „Amtsblatt“, einem Datenblatt des Bahnhofs sowie einer Informationsbroschüre der Projektgegner versenkt.

 

Grube: Der Grund der Baustelle ist der „Boden der Tatsachen“

Bahn-Chef Rüdiger Grube lobte die Kulisse als „wahrhaft großen Bahnhof für einen wirklich schönen Bahnhof“. Der Manager verschwieg nicht, dass die Realisierung mühsam sei. Die Prüfprozesse für den „anspruchsvollen Bau“ dauerten mitunter länger als erwartet. Es gelte, zwei Jahre aufzuholen, um den Inbetriebnahmetermin 2021 einzuhalten. Das sei klar das Ziel. „Wir fahren zusammen 2021 nach Ulm“, rief Grube den Besuchern zu – ließ aber offen, ob über die Neubaustrecke oder über die Geislinger Steige. Die in Beton gegossene Bodenplatte und die sich abzeichnende Kontur der Bahnsteige sei „der Boden der Tatsachen. Das Projekt ist unumkehrbar. Der Bahnhof kommt. Und er kommt, weil er überzeugt.“

Diese Überzeugung hat sich freilich bei den nach Polizeiangaben zwischen 300 und 400 Projektgegnern, die am Bahnhofsturm die eintreffenden Gäste der Grundsteinlegung mit einem ohrenbetäubenden Spektakel empfingen, nicht eingestellt. „Man erlebt nicht so oft, dass etwas fortgesetzt wird, von dem eigentlich jeder weiß, dass es schlecht ist“, sagte Schauspieler Walter Sittler, der sich seit Jahren gegen den Bahnhofsneubau engagiert. Das erkläre auch die Ausdauer der Protestierenden. Er plädierte, die von den Gegnern ausgearbeiteten Pläne für einen Umstieg ernsthaft zu diskutieren.

Ingenhoven: Die Stadt muss sich nun für die Zeit nach dem Bau rüsten

Bahnhofsarchitekt Christoph Ingenhoven rief die Stadt dazu auf, in ernsthafte Planungen einzusteigen, was das Bahnhofsumfeld angeht. Es müsse um die Überwindung der autogerechten Stadt gehen. „Stattdessen brauchen wir stadtgerechte Autos und Bahnen.“ Die Stadt müsse nun entscheiden, was mit der Schillerstraße, dem Arnulf-Klett-Platz, der Klettpassage, dem Bereich um die ehemalige Bahndirektion sowie das Gebiet nördlich des künftigen Straßburger Platzes geschehe. Ingenhoven plädierte für eine baldige Aufweitung der Bahnunterführungen an der Wolframstraße, damit diese den aus der Schillerstraße verbannten Verkehr aufnehmen könnte. „Wer damit wartet, bis die Gleisanlagen abgebaut sind, riskiert, dass der Bereich zwischen dem Ende der Königstraße und dem Bahnhof bis in die 30er Jahre hinein eine Großbaustelle ist“, so der Architekt.

Norbert Barthle, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, hob die politische Komponente des Projekts hervor, die „dafür gesorgt hat, dass mancher Würdenträger ins Amt gekommen ist“. Er könne es nicht verstehen, dass weder OB Fritz Kuhn noch Ministerpräsident Winfried Kretschmann anwesend seien. Für das von den Grünen geführte Finanzministerium nahm Amtschef Jörg Krauss an der Feier teil. Von OB Kuhn hätte Barthle erwartet, „dass er an einem solchen Tag Ideen darlegt, was auf den Gleisflächen entstehen kann“. Die finanzielle Beteiligung des Bundes, die aktuell durch eine Untersuchung des Bundesrechnungshofs kritisch beleuchtet wurde, hält Barthle für „gut angelegtes Geld“. Mit Blick auf die zahlreichen, wegen des Projekts umzusiedelnden Eidechsen, regte der CDU-Politiker eine Diskussion darüber an, „ob wir beim Artenschutz noch richtig liegen“.

Mit Barthle diskutieren wollte auch Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU). Allerdings weniger über die Bedürfnisse von Eidechsen als jene von Pendlern, die die S-Bahn nutzen, für Bopp das zentrale Nervensystem der Ballungsräume. „Wir sollten bundesweit die Frage aufwerfen, ob in Deutschland an S-Bahn-Systeme nicht höhere Qualitätsanforderungen zu stellen sind als nur ,wirtschaftlich optimal‘.“

Als Quantensprung bezeichnete Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) die Fahrzeitverkürzungen, die sich durch das Projekt zwischen der Innenstadt und dem Flughafen wie zwischen Stuttgart und Ulm ergeben würden. Die Vorzüge könne man gar nicht oft genug betonen. Sie erwarte einen signifikanten Umstieg vom Auto auf die Schiene – auch und gerade in der „feinstaubgeplagten Stadt Stuttgart“.

Für diese sprach Erster Bürgermeister Michael Föll, für den Stuttgart 21 „einzigartige Chancen im Vergleich zu anderen europäischen Wirtschaftsmetropolen“ darstellt. Um diese nicht zu vertun, werde die Stadt „weiterhin konstruktiv zum Gelingen“ des Projekts beitragen. Dies sei auch die Haltung von OB Kuhn. Im Übrigen empfahl der Finanzbürgermeister den Projektbeteiligten ein Wort von Johann Wolfgang von Goethe: „Ein jeder kehr’ vor seiner Tür und sauber ist das Stadtquartier.“

Martin Körner, SPD-Fraktionschef im Stuttgarter Gemeinderat, der mit anderen Stadträten zusammen vor Ort war, wollte am Rande der Veranstaltung auch einen Sinneswandel beim OB festgestellt haben. „Durch die wegfallenden Gleise und die neue S-Bahn-Station Mittnachtstraße kann Stuttgart neue Wohnungen bauen und die S-Bahn entlasten. So ganz schlecht ist S 21 also nicht für Stuttgart. Mittlerweile hat das ja auch der OB erkannt.“