Eine aktuelle Analyse der DB-Spitze beziffert das erwartete Defizit für den Staatskonzern beim teuren Stuttgarter Tunnelprojekt auf inzwischen mehr als 2,2 Milliarden Euro.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Inzwischen erwartet die Deutsche Bahn (DB) beim umstrittenen S-21-Projekt einen Planverlust von 2,228 Milliarden Euro. Das zeigt ein internes DB-Papier vom 18. April , das unserer Redaktion vorliegt.

 

Die achtseitige Analyse wurde für DB-Chef Richard Lutz und Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla erstellt und ist mit „DB vertraulich“ gekennzeichnet. Erstmals werden nun aktuelle Zahlen öffentlich, wie S 21 die DB finanziell und wirtschaftlich belastet und wie gering im Vergleich dazu die Projekteffekte sind.

Demnach rechnet die DB-Spitze damit, dass der Staatskonzern insgesamt 4,034 Milliarden Euro Eigenmittel für den Umbau des Bahnknotens aufbringen muss. Das ist mehr als viermal so viel wie einst geplant. Im Vergleich zu diesen Belastungen sind die wirtschaftlichen Vorteile weit geringer. Die „Projekt-Effekte“ werden auf lediglich 0,656 Milliarden Euro beziffert. Zudem rechnet die DB mit nicht näher beschriebenen „Immobilien-Effekten“ von 1,15 Milliarden Euro. Es verbleibt eine mit roter Farbe markierte Lücke von 2,228 Milliarden Euro.

Zahlen der Unwirtschaftlichkeit unter Verschluss

Die Belastungen für das Bundesunternehmen könnten sich noch vergrößern, falls S 21 wegen der Bau- und Genehmigungsrisiken noch teurer oder noch später fertig wird. Insgesamt werden inzwischen 8,2 Milliarden Euro für das Tunnelprojekt veranschlagt, das erst Ende 2025 in Betrieb gehen soll und damit weitere vier Jahre später als geplant. Hinzu kommen knapp 3,7 Milliarden Euro für die zugehörige ICE-Neubaustrecke nach Ulm.

Der DB-Aufsichtsrat, in dem mehrere Vertreter der Bundesregierung sitzen, hat trotz der Kostensteigerungen und Terminverzögerungen die Fortführung des Projekts immer befürwortet, zuletzt auf seiner Sitzung im Januar. Schon 2013 wurden die Ausstiegskosten auf zwei Milliarden Euro beziffert. Im aktuellen Papier nennt die DB-Spitze nun sogar eine Summe von 7,02 Milliarden Euro, also mehr als dreieinhalbmal so viel. Hinzu kämen noch verlorene Eigenmittel in Höhe von 665 Millionen Euro. Der Anstieg wird vor allem mit der Rückzahlung von Baukostenzuschüssen sowie Strafzinsen von zusammen fast 3,6 Milliarden Euro begründet, die den Konzern bei einem Projektabbruch belasten könnten. Die Zahlen zur Unwirtschaftlichkeit von S 21 haben die DB und die Bundesregierung bisher unter Verschluss gehalten. Auch dem Bundestag wurde das genaue Minus nicht genannt, trotz vieler schriftlicher Nachfragen der Grünen und der Linken. Das Verkehrsministerium antwortete nur ausweichend. Generell gilt es auch juristisch als problematisch, wenn ein als private Aktiengesellschaft organisierter Staatskonzern ein solch unwirtschaftliches, aus öffentlichem Geld finanziertes Projekt nicht zuletzt auf politischen Druck hin durchzieht. Zumal sich die DB dafür auch noch höher verschulden muss und für die Bahn letztlich der Staat haftet.

Bahnchef: Belastungen nicht bekannt gewesen

Nach Informationen unserer Zeitung hat die neue DB-Spitze nun im Verkehrsausschuss erstmals die Unwirtschaftlichkeit von S 21 offen eingestanden. In der nicht öffentlichen Anhörung in Berlin bekamen die Verkehrsexperten des Parlaments demnach von DB-Chef Lutz und Ex-Kanzleramtschef Pofalla das vertrauliche DB-Papier zur Kenntnisnahme. Nach Angaben von Teilnehmern soll der Bahn-Chef dabei betont haben, dass die Belastungen vor Baubeginn noch nicht bekannt gewesen seien. 2009 habe man das nicht gewusst, denn „so hätten wir das Projekt nicht gemacht“, wird Lutz zitiert. Der Manager ist seit 2010 Finanzvorstand der DB, war davor seit 2003 oberster Controller und arbeitete bereits seit 1994 als enger Vertrauter für den langjährigen Finanzchef Diethelm Sack.

2017 übernahm Lutz den Chefsessel von Rüdiger Grube, der Anfang 2010 mit Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) den Baustart für S 21 gefeiert hatte. Auch Grube hatte sich später von dem Projekt distanziert, das vor seiner Amtszeit politisch beschlossen worden sei. Der im Zwist ausgeschiedene Ex-Bahn-Chef geriet inzwischen auch wegen seiner Abfindung von 2,3 Millionen Euro für nur noch 30 Tage Amtszeit sowie seiner Beratertätigkeit für die Firma Martin Herrenknecht. deren Maschinen im Auftrag der Bahn zwei S-21-Tunnel bohren, in die Kritik.