Der Abstellbahnhof für Stuttgart 21 ist noch nicht genehmigt. Am Freitag leitet die Bahn das entsprechende Verfahren ein. Größter Stolperstein: Auf den Bauflächen leben bis zu 6500 streng geschützte Eidechsen, die umgesiedelt werden müssen – wohin ist unklar.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs von Untertürkheim sollen einmal jene Züge gepflegt und gewartet werden, die nach Inbetriebnahme von Stuttgart 21 die Stadt ansteuern. Dafür will die Deutsche Bahn in dem Neckarvorort einen Abstellbahnhof bauen. Doch für den entsprechenden Abschnitt hat sie nach wie vor keine Baugenehmigung. Die soll am Ende des Verfahrens stehen, das der Schienenkonzern am Freitag überhaupt erst in Gang setzt. Dann sollen die entsprechenden Unterlagen beim Eisenbahn-Bundesamt (Eba) eingereicht werden.

 

Die Experten der Genehmigungsbehörde werden sich nicht nur mit eisenbahntechnischen Fragen auseinandersetzen müssen. Denn dort, wo die Bahn ihren Abstellbahnhof bauen möchte, liegen heute schon Gleise – und zwischen denen fühlen sich Eidechsen besonders wohl. Auf bis zu 6500 Tiere schätzt die Bahn die Population in Untertürkheim. Die Tiere stehen unter Artenschutz. Wie mit ihnen umzugehen ist, muss daher in dem Verfahren beim Eba geklärt werden.

Finanzierung, Planung, Proteste: Die zehn wichtigsten Fakten zu Stuttgart 21 sehen Sie im Video:

Gentests bei den Eidechsen

Bereits geklärt werden konnte hingegen die Frage, um welche Eidechsen genau es sich in Untertürkheim handelt. Denn Mauereidechse, das ist die Art in Untertürkheim, kann sich von Mauereidechse unterscheiden. Nach Angaben eines Projektsprechers gab es ein ursprüngliches Vorkommen, das sich nach und nach mit aus Italien zugewanderten Tieren vermengte. Diese sollen auf Güterzügen als blinde Passagiere ihren Weg über die Alpen gefunden haben. Genauen Aufschluss über die Herkunft brachten Gentests bei diesen Tieren.

Diese Art von Untersuchung legt auch ein Leitfaden nahe, den die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) im Jahr 2014 veröffentlicht hat. In dem „Praxisorientierte Umsetzung des strengen Artenschutzes am Beispiel von Zaun- und Mauereidechsen“ überschriebenen Papier heißt es unter anderem in einem Forderungskatalog: „Bei Umsiedlungen, Wiederansiedlungen und Neuansiedlungen ist darauf zu achten, dass nur die autochthone genetische Linie in die Natur ausgebracht wird. Da phänotypische Bestimmungen falsch sein können, ist eine Bestätigung mittels Genanalyse durchzuführen.“ Im Klartext: Nur ursprünglich vorkommende Arten dürfen umgesiedelt werden. Das Erscheinungsbild kann trügen, Sicherheit bringt nur der Blick ins Erbgut.

Kritik an Umzugsplänen in die Esslinger Weinberge

Bei der Höheren Naturschutzbehörde, die beim Regierungspräsidium (RP) Stuttgart angesiedelt ist, weist man darauf hin, dass es sich bei dem LUBW-Text um eine naturschutzfachliche Expertise handle. „Naturschutzrechtliche Erfordernisse wurde hier nicht umfassend berücksichtigt“, erklärt RP-Sprecherin Katja Lumpp auf Anfrage. Die aufgestellten Thesen seien von den Ämtern noch auch auf ihre Vereinbarkeit mit dem Naturschutzrecht hin zu prüfen. „Grundsätzlich kann von Behördenseite nur das fachlich gefordert werden, was auch rechtlich gefordert werden kann“, so Lumpp. Rechtlich bindend sind die LUBW-Forderungen also nicht.

Die Bahn sieht vor, die Untertürkheimer Eidechsen einzufangen und in die Weinberge des Esslinger Schenkenbergs zu entlassen. Die Wengerter seien dazu bereit, erklärt ein Projektsprecher. Ein Vorgehen, das die Höhere Naturschutzbehörde allerdings ablehnt. Sie befürchtet einen Verstoß gegen Paragraph 44 des Bundesnaturschutzgesetzes, der „Vorschriften für besonders geschützte und bestimmte andere Tier- und Pflanzenarten“ zusammenfasst. Der Esslinger Schenkenberg ist nämlich keineswegs frei von bereits dort lebenden Eidechsen, genauer Zauneidechsen. „Es steht zu befürchten, dass dadurch eine der letzten verbliebenen stabilen Zauneidechsenpopulationen Stuttgarts beeinträchtigt würde“, erklärt Katja Lumpp.

Naturschützer fordern Eidechsenwohnraum auf Bahngelände

Weniger angetan von den Umzugsplänen, die die Bahn für die Untertürkheimer Reptilien ersonnen hat, ist auch der Regionalverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Gerhard Pfeifer, Geschäftsführer des Stuttgarter Regionalverbands argumentiert ähnlich wie die Naturschutzbehörden und lehnt die Umsiedlung kategorisch ab. Die Neuankömmlinge würden an den Esslinger Weinlagen auf bereits dort lebende Zauneidechsen stoßen und denen den Garaus machen. Statt die Eidechsen aufwendig einzusammeln solle die Bahn doch eigene Flächen entlang von Bahnböschungen als neuen Lebensraum für die Tiere herrichten. Durch den dafür notwendigen Rückschnitt von Sträuchern sieht der S-21-Sprecher allerdings neuerlich artenschutzrechtliche Hemmnisse heraufziehen. Das letzte Wort darüber, wie mit den Reptilien zu verfahren sei, hat aber weder das RP noch der BUND. „Zuständig für eine verbindliche Entscheidung darüber, wohin gegebenenfalls die Mauereidechsen verbracht werden, ist jedoch das Eba als Planfeststellungsbehörde“, erklärt Katja Lumpp.

Der BUND misstraut der Bahn in Sachen Artenschutzbemühungen. Bereits Ende vergangenen Jahres erhoben die Umweltschützer den Vorwurf, die Bahn habe durch „abenteuerlich teure Umsiedlungsvorhaben“ die Öffentlichkeit „aufgeschreckt und gegen den Naturschutz Stimmung gemacht“. S-21-Chef Manfred Leger hatte im StZ-Interview die Kosten für den teuersten Umzug einer einzelnen Eidechse mit 8600 Euro beziffert.

Noch ehe diese Summen im Raum standen, hatte sich bereits der baden-württembergische Staatsminister Klaus-Peter Murawski (Grüne) Gedanken zum Artenschutz gemacht. In einem Interview mit dem Stuttgart-21-Magazin „Bezug“ sagte der ehemalige Stuttgarter Verwaltungsbürgermeister im April 2014 vor dem Hintergrund erster Eidechsenumsiedlungen für das Bahnprojekt: „So wichtig der Artenschutz ist, wenn ein solcher Aufwand betrieben werden muss, dann wird es paradox.“