Eine 25-jährige Frau soll die Nichte ihres Mannes totgeschüttelt haben. Vor dem Landgericht Stuttgart bestreitet sie den Vorwurf.

Stuttgart/Fellbach - Die junge Frau sagt es mit fester Stimme, der Dolmetscher übersetzt: „Ich habe das Mädchen nicht geschüttelt. Ich habe nur seine Wangen getätschelt.“ Oberstaatsanwalt Matthias Schweitzer wirft der 25-Jährigen Körperverletzung mit Todesfolge vor. Sie soll die zweijährige Nichte ihres Ehemannes im Dezember 2018 in der ehelichen Wohnung an der Kappelbergstraße in Fellbach zu Tode geschüttelt haben.

 

Bei einer Körperverletzung mit Todesfolge können nach dem Strafgesetzbuch zwischen einem Jahr und zehn Jahren Gefängnis verhängt werden.

Der Vorfall soll sich am Nachmittag des 11. Dezember abgespielt haben. Die Angeklagte habe das Kleinkind gewickelt, so der Oberstaatsanwalt. Aus nicht bekannten Gründen, wahrscheinlich, weil es geschrien habe, soll die Frau das Mädchen so lang geschüttelt haben, bis es das Bewusstsein verlor. In einer Klinik sei die Zweijährige schließlich an einem beidseitigen subduralem Hämatom noch am selben Tag gestorben. Bei einem subduralen Hämatom handelt es sich um eine Blutung zwischen harter Hirnhaut und Gehirn, häufig ausgelöst durch einen Unfall – oder bei kleinen Kindern eben durch heftiges Schütteln.

Ohnmächtig nach dem Windelwechseln?

Das bestreitet die von Verteidigerin Amely Schweizer vertretene Frau. Sie habe der Zweijährigen auf dem Boden die Windeln gewechselt. Das Mädchen sei aufgestanden. Als sie wieder nach ihm geschaut habe, sei es wieder auf dem Boden gelegen – ohnmächtig, sagt die Angeklagte. „Ich habe sie getätschelt und Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht, weil sie so schwer geatmet hat“, sagt die 25-Jährige. Dann sei sie mit dem Kind auf dem Arm zu ihrer Nachbarin einen Stock tiefer geeilt.

Ihr inzwischen eingetroffener Ehemann sei mit dem Nachbarn und dem Mädchen nach Winnenden ins Krankenhaus gefahren. Dort wurde die Zweijährige untersucht. „Die Ärztin hat mich dann gefragt, ob das Kind geschüttelt worden ist“, sagt der Ehemann vor der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts aus.

Das Paar war 2015 vor dem Krieg über Umwege aus dem syrischen Damaskus nach Deutschland geflohen. Erst lebte es in einer Unterkunft in Esslingen, bezog danach ein Zimmer in Stuttgart, ehe es nach Fellbach zog. Die Eheleute haben einen dreijährigen Sohn. Ende September vergangenen Jahres nahm das Paar die Tochter des Bruder des Mannes auf.

Die Eltern des Mädchens hatten sich getrennt, der Bruder war mit dem Kleinkind überfordert. „Da habe ich mich bereit erklärt, das Mädchen aufzunehmen“, sagt die 25-Jährige. Das Mädchen sollte bei ihnen wie ihr eigenes Kind aufwachsen. Am 23. September 2018 holten die Eheleute das Mädchen aus Griechenland nach Fellbach.

Medizinisches Gutachten mit Spannung erwartet

Die Zweijährige wird von der Frau, ihrem Mann und auch von der Nachbarin als kränkliches Kind beschrieben. Das Mädchen habe immer großen Appetit gehabt und sei trotzdem Haut und Knochen gewesen, sagt die Angeklagte. Blass sei das Mädchen gewesen, immer wieder habe es Durchfall gehabt. Von den leiblichen Eltern habe sie erfahren, dass das Mädchen bei der Geburt einen Sauerstoffmangel erlitten habe.

Beim Gehen habe das Mädchen wackelig gewirkt, es habe seine Augen nie richtig aufgemacht, sagt die Nachbarin. Ob die Zweijährige irgendeine Behinderung hatte, wird am ersten Prozesstag nicht klar. Das Ehepaar sagt aus, die Zweijährige habe, wenn sie sich geärgert habe, immer wieder ihren Kopf auf den Boden geschlagen. Bei einem Arzt hatten die Eheleute das Mädchen nicht vorgestellt – weil das Paar laut eigener Aussage keine Papiere für das Mädchen hatte.

„Meine Frau ist eine ruhige Person, sie wird auf keinen Fall handgreiflich“, sagt der 35-jährige Ehemann , der als Automechaniker arbeitet, im Zeugenstand. Sie habe das Mädchen ebenso liebevoll behandelt wie ihren eigenen Sohn.

Der Prozess wird fortgesetzt. Dabei wird es vor allem auf das Gutachten des Rechtsmediziners ankommen.