Vor 100 Jahren zog es die Schönen und Reichen von Stuttgart ins elegante Café Königsbau. An diesem historischen Ort trafen sich nun Sammler alter Fotos, um Erinnerungen auszutauschen und das neue Buch des Stuttgart-Albums zu feiern.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Mit Samt, Seide und Plüsch schickte sich das Café Königsbau im 19. Jahrhundert an, Pariser Vorbildern zu folgen. König Wilhelm I. hat die Eröffnung des ersten Kaffeehauses von Süddeutschland am 9. November 1859 quasi in einer Baustelle erzwungen. Noch war nicht alles fertig. Aber da zum 100. Geburtstag des Dichterfürsten die große Schillerfeier anstand, wollte der Monarch nicht länger warten, um dem gesellschaftlichen Leben eine neue Heimat zu schenken.

 

„Stets war das Café Königsbau die Stätte, wo führende Persönlichkeiten des Staates, der Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft eine kurze Erholung suchten und sich an dem herrlichen Anblick des Schlossplatzes erfreuten“, schrieb 1934 der „Merkur“. Nun haben an diesem historischen Ort Freunde der Stadtgeschichte diese besonders schöne Aussicht genossen.

Der dritte Band heißt „Das Beste aus dem Stuttgart-Album

Die Initiatoren des 2012 bei Facebook gestarteten Geschichtsprojekts „Stuttgart-Album“ luden ihre eifrigsten Unterstützer ein, um sich bei den Sammlern für Fotoschätze zu bedanken. Auf drei mediale Kanäle ist das Projekt zum Mitmachen angelegt. Im Internet, in Zeitungen und in Fotobüchern wird zurückgeblickt – und gleichzeitig nach vorn. Motto: „Eine Stadt ohne Erinnerungen hat keine gute Zukunft.“

Zum Erscheinen des dritten Buchs unter dem Titel „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ haben die Bildgeber, allesamt echte Stuttgart-Fans, mit dem neuen Königsbau-Sekt angestoßen. Eine muntere und erzählfreudige Runde geriet ins Schwärmen und Schwelgen.

Sein Lieblingsplatz war das „Gitterle“ der Straßenbahnen

Thomas Mack, der Fotos aus den 1950ern und 1970ern geschickt hat, die sein Vater oder er gemacht haben, erinnerte an das „Gitterle“ der Straßenbahnen der 1960er, an den luftigen Platz, an dem er als Kind am liebsten stand. Die Journalistin Brunhilde Bross-Burkhardt brachte Fotos aus dem Nachlass ihres 2014 verstorbenen Mannes Edgar Burkhardt mit. Dieser hatte als Redakteur bei der „Landesschau“ gearbeitet und Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den 1960ern und 1970ern gesammelt, die in den Nachrichten im Hintergrund zu sehen waren – es sind Standbilder einer bewegten Zeit. Die Aufnahmen sind eine Augenweide: Die Mütter trugen Haartürme, die Autobahn gehörte dem Käfer, und die Babys waren in Wickeltüchern fest verpackt und in Kissen geschnürt.

Eberhard Kenner spielte in den 1960ern mit den Dynamites im Park-Café an der Neckarstraße. Sein Foto mit den roten Vorhängen und der geschwungenen Lokalschrift ist im Buch ein Highlight. Michael Rauser steuerte Fotos aus dem Familienalbum bei: Sein Vater stellte 1949 das Dächle fürs Podest der Polizisten her, die den Verkehr regelten, als es kaum Ampeln gab.

Jede Woche bekommt der Enkel eine Stuttgart-Karte

Günther Schaile fotografierte 1965 die Queen. „Am Morgen waren Wind und Wolken über der Stadt“, erinnert er sich, „aber pünktlich zur Ankunft des hohen Gastes ging die Sonne auf.“ Schaile, der bis zur Pensionierung 1998 bei den Stuttgarter Nachrichten Produktionstechniker war, hat den Poststempel der Queen mit dem Datum 24. Mai 1965 aufbewahrt. „Es herrschte eine gelöste und friedliche Stimmung“, erzählt er. Die Fahrt der Königin habe einem „Triumphzug“ geglichen.

Wibke Wieczorek hat die Sammelleidenschaft und die historischen Ansichtskarten vom Großvater übernommen. Die Erzieherin kauft auf Flohmärkten und im Netz immer noch mehr dazu. Mittlerweile besitzt sie 31 000 Karten, davon 4000 von Stuttgart. „Bestimmt 1000 sind doppelt“, sagt sie. Ihrem dreijährigen Enkel Noah schickt sie Woche für Woche eine Stuttgart-Karte, „stets eine neue“, wie sie betont – so hat es einst schon ihr Opa bei ihr gemacht. Fast hat Frau Wieczorek den Eindruck, als gebe es ein Comeback bei den guten alten Karten. Ist es Nostalgie, Heimatliebe oder Protest gegen digitale Zwänge? Wer Stuttgart so sehr liebt wie die Sammler, leidet umso mehr, wenn in der Stadt nicht alles rund läuft und die Architektur den großen Bauten von einst nicht folgen kann.

Christian Rösslein, der in der vierten Generation das Café Königsbau führt, leidet, wenn er die Plastiktische und Plastikstühle der Gastro-Konkurrenz auf dem Schlossplatz sieht. Bei ihm sind die Tische draußen aus Holz. Die Eleganz großer Königsbau-Tage hat nicht überall überlebt.

Das Buch „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ ist im Sutton-Verlag erschienen.