König Karl hat schon früh gewusst, dass er homosexuell ist. Dafür sind neue Belege aufgetaucht. Udo Rauch, der Leiter des Tübinger Stadtarchivs, entdeckte Liebesbriefe, die der spätere Monarch als 17-jähriger Student an einen Kommilitonen schrieb.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Amors Pfeil traf den württembergischen Kronprinzen Karl mit voller Wucht, als er 17 Jahre alt war und in Tübingen studierte. Der um fünf Jahre ältere Kommilitone Freiherr Adolf von Ow-Wachendorf war’s, der dem einzigen Sohn von König Wilhelm I. den Kopf verdrehte. „Lieber Freund“, schrieb Karl ihm voller Inbrunst, „wie ich es wohl dachte, so geschah’s, nach dem gestrigen schönen Abend bringe ich eine unruhige Nacht zu, ich denke an Sie und sehne mich zu Ihnen.“

 

Mit dem Datum vom 9. Oktober 1840 offenbarte der Thronfolger im Überschwang seiner Gefühle dem jungen Adligen, dass er die Behauptung für falsch halte, dass sich „zwei männliche Wesen“ nicht lieben könnten. Mit Literatur über Männerliebe hatte er sich befasst, berief sich auf die alten Griechen, um sein Anliegen zu rechtfertigen. Der spätere König Karl gestand dem Mitstudenten: „Jeder Blick, den Sie mir zuwarfen, war für mich eine Seligkeit, und ich glaube, aus dem schönen Ausdruck ihrer Augen schließen zu können, dass Sie meinen Gefühl entsprechen.“

Liebesbriefe im Schlossarchiv bei Rottenburg entdeckt

Junge Liebe ist besonders schön – aber allzu oft auch besonders kompliziert. Was der 1823 geborene Karl von Württemberg für seinen Kommilitonen empfand, war in der damaligen Zeit ein absolutes Tabu. Bis in das späte 19. Jahrhundert hinein war der Begriff „Homosexualität“ unbekannt. Udo Rauch, der Leiter des Stadtarchivs Tübingen, hat nach gründlicher Recherche und Suche die Liebesbriefe des jungen Prinzen entdeckt, die, wie er unserer Zeitung mitteilt, belegen, dass der spätere König „nicht erst im Alter seinen schwulen Gefühlen freien Lauf gab und deshalb in Skandale verwickelt war“. Schon sehr früh sei sich Karl „darüber im Klaren gewesen, wie bei ihm der Hase läuft.“

Erstmals werden diese Liebesbriefe öffentlich in der Ausstellung „Queer durch Tübingen“ im dortigen Stadtmuseum gezeigt. Unserer Zeitung verrät Rauch, wie er an diese Dokumente gelangt ist: „Dass sich Kronprinz Karl in den Freiherr von Ow-Wachendorf verliebt hatte, entnahm ich einer Familienchronik, die nur handschriftlich überliefert ist und erst vor wenigen Monaten ihren Weg ins Stadtarchiv Tübingen fand. Mit diesem Wissen lag es nahe, im Schlossarchiv der Freiherren von Ow-Wachendorf (bei Rottenburg) weiter zu recherchieren.“

Dort entdeckte er Karls 180 Jahre alten Liebesbriefe, fein säuberlich verwahrt und abgelegt in einem besonderen Umschlag mit der Aufschrift: „Merkwürdige Briefe des Kronprinzen Karl von Württemberg … an Adolf Freiherrn von Ow-Wachendorf“. Ein Archivar hatte noch hinzugefügt: „Beweise für die homosexuelle Natur des späteren Königs Karl von Württemberg“.

1841 kam es zum Zerwürfnis von Karl und Adolf

Der heutige Schlossherr Burkhardt Freiherr von Ow-Wachendorf gewährte dem Tübinger Historiker Zutritt und lieh ihm die Briefe für die Ausstellung aus. Blieb es beim Schreiben schöner Worte oder hatten Kronprinz Karl und Freiherr Adolf eine Liaison?Stadtarchivs-Leiter Udo Rauch sieht es so: „Von Beziehung würde ich durchaus sprechen, aber was da tatsächlich gelaufen ist, muss leider offen bleiben. Er fürchtete, dass die Beziehung zu Adolf entdeckt wird. Er wollte sie unbedingt geheim halten. Wäre das ansonsten nötig gewesen?“

In weiteren Briefen wechselte der Kronprinz vom Sie zum Du. Als Karl im März 1841 zum Studium nach Berlin zog, schrieb er Adolf, er solle bald nachkommen und gestand, ein Schnupftuch heimlich von ihm gestohlen zu haben, um etwas von ihm in Berlin zu haben. Im Juni 1841 kam es zum Zerwürfnis der beiden, Karl geht zum Sie zurück. Der Grund für den Streit ist nicht bekannt. Vier Jahre später schrieb der Prinz ihm erneut, um dem früheren Freund sein Mitgefühl über den Tod dessen Vaters mitzuteilen. 1846 hat Karl die Zarentochter Olga geheiratet und folgte 1846 nach dem Tod seines Vaters WIlhelm I. auf den Thron. Sein Jugendliebe Adolf hatte weit die 50 überschritten, als der Freiherr 1870 sich mit einer halb so alten Gräfin vermählte.

„Königin Olga ist der einzige Mann am württembergischen Hof“

Die Regierungszeit von Karl währte 27 Jahre lang. Unter ihm fielen die strengen Sozialistengesetze von Reichskanzler Bismarck in Württemberg milder aus. Sein Interesse am Regieren soll mit der Zeit nachgelassen habe, lieber unternahm der König Reisen mit jungen Männern, etwa mit dem Amerikaner und Vorleser Charles Woodcock. Karls Frau Olga, mit der er keine Kinder hatte, übernahm immer mehr die Aufgaben des Monarchen. Die Homosexualität ihres Mannes sprach sich wohl herum. Bismarck war ein Fan von Olga und nannte sie „den einzigen Mann am württembergischen Hof“.

1888 haben Zeitungen von München bis Berlin, von Paris bis New York die Gerüchte über homosexuelle Neigungen des württembergischen Königs aufgegriffen. Unter diesem Druck endete die Beziehung des Königs mit dem amerikanischen Vorleser. Woodcock wurde mit 300.000 Mark abgefunden. In Berlin hatte Kaiser Wilhelm II. die Absetzung des schwulen Königs veranlassen wollen. Die Entthronung gelang nicht, weil Karl keineswegs geistig umnachtet war, wie man ihm vorwerfen wollte.

Mit 66 verliebte sich Karl sich in einen Techniker des Hoftheaters

Der Monarch litt sehr, so ist überliefert, verliebte sich aber dann 1889 im Alter von 66 Jahren in den damals 35-jährigen Wilhelm Georges, in einen Techniker des Hoftheaters. Zwei Jahre später starb Karl. Tausende von Menschen kamen nach Stuttgart und säumten den Weg zu dessen letzter Ruhestätte in der Gruft unter der Schlosskirche. Der König war beliebt, weil freiheitlich gesinnt. Im Testament verfügt dieser, dass sein Freund Wilhelm Georges 333.000 Mark erholten sollte.

Homosexueller Skandal im 17. Jahrhundert

In der Ausstellung „Queer durch Tübingen“ wird nicht nur das Leben des homosexuellen Königs aus Stuttgarts ausführlich beschrieben. Es geht auch um einen homosexuellen Skandal, der sich 1659 in Stuttgart zutrug und weit ins Land ausstrahlte. Der Skandal endete mit der Hinrichtung des Hauptangeklagten Johann Ludwig Funk aus der Oberschicht, aus der sogenannten Ehrbarkeit, dem und weiteren Männern „Sodomie“ vorgeworfen wurde. Wer abweichende Sexualität ausübte, zu der man körperliche Liebe unter Männern zählte, wurde als „Sodomiter“ bezeichnet und hart bestraft, wie Stadtarchiv Udo Rauch im Ausstellungskatalog schreibt. In der Verhandlung gestand Funk seinen intimen Umgang mit Männern, etwa mit seinem Knecht Bockel, dabei sei aber „kein Samen“ geflossen. Nach dem damaligen Recht wurde Sex ohne Ejakulation nicht bestraft. Die Richter glaubten ihm nicht. Funk ist auf dem Wilhelmsplatz gehängt worden.

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