Wo über Jahrzehnte das Vergnügen zuhause war, entsteht ein neues Haus für Büros und Praxen. Mit dem Abriss am Hirschbuckel verschwindet ein Stück vom alten Stuttgart. Fans von Roxy und AT Podium erinnern sich emotional an einen Ort ihrer Jugend.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Ein zentrales, knapp 70 Jahre altes Gebäude in der City wird bald plattgemacht – dies fördert alte Nachtgeschichten zutage, weil so viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter an diesem Paradies ihrer Jugend Schönes, Unvergessenes und Verrücktes erlebt haben. DJ-Legende Jens Herzberg lernte seine Frau an diesem brummenden Ort der Musik und Glücksgefühle kennen, im bis heute unvergessenen Roxy.

 

„Geklaut im Roxy“ steht auf einem Glas, das Beatrice Meyer bis heute aufbewahrt hat, wie sie auf der Facebook-Seite unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album schreibt. Wo sich heute an der Königstraße 51 der Club ToY befindet – auch ihm wurde gekündigt, weil die Besitzer einen Neubau für Büros und Arztpraxen errichten wollen –, ist dem Roxy als Magnet der Nacht ein Siegeszug gelungen, der etwa zehn Jahre anhielt. Davor war das AT Podium City in diesen Kellerräumen (auf der Seite zum Brunnen und zur Hirschstraße hin) eine beliebte Adresse zum Tanzen, Flirten, Trinken, Spaß haben. Das Haus, das weichen mus, ist außerdem für die Fritty- Bar und die Tabledance-Bar Tahiti auf der Seite zur Königstraße bekannt.

Das erste Date im Jahr 1987 im AT Podium

Susanne Winkler erinnert sich im Internetportal unseres Stuttgart-Albums: „Im Roxy hab’ ich meine wilden Gothic-Jugendjahre verbracht und 1992 meinen heutigen Mann kennengelernt, wir sind jetzt 30 Jahre zusammen. Die Revival-Partys waren auch toll – schade, dass es abgerissen wird!“ Manuela Hoes schreibt: „Mein Mann und ich hatten unser erstes Date im AT Podium 1987, haben 1988 geheiratet und leben seit 1989 in den USA. Schade, dass so viel verschwindet.“

Das Haus, das weichen muss, ist 1953 gebaut worden. Es gehört der Stinag, einer Investment AG, die eine Modernisierung des bisherigen Vergnügungsecks für dringend notwendig hält. Ein Architektenwettbewerb soll klären, was hier möglich ist. Der Abriss ist für Ende dieses Jahres oder Anfang 2023 geplant. Im Neubau wird die Fritty-Bar, die dort seit vielen Jahren bis spät in die Nacht Fans von belgischen Fritten anlockt und Anfang Juli ausziehen muss, keinen Platz mehr finden. Geruchs- und Lärmbelastungen passen nicht mehr zu den neuen Standortplänen der Eigentümer.

Mit Jazz fing’s am Hirschbuckel im Keller an. 1979 ist das AT Podium City im heutigen ToY eröffnet worden. „AT“ steht für Atlantikbar, die in den 1960ern an der Büchsenstraße als angesagter Jazzladen begonnen hat. Unter der Leitung von Hans-Peter Haug erfolgte 1972 erst der Umzug an die Fritz-Elsas-Straße und dann an die Ecke Königstraße/Hirschstraße. Es war die Zeit des „Saturday Night Fevers“. Jazz erwies sich für den AT-Betreiber häufig als Minusgeschäft, weshalb er immer öfter auf Disco-Abende nach Travolta-Art setzte.

„Ich hatte Hausverbot im AT – und war richtig stolz darauf“

Im AT Podium hat Marc Simianer zu Abiturszeiten gejobbt, wie er dem Stuttgart-Album verrät: „Eine Zeit lang hatte ich Hausverbot – und war richtig stolz drauf.“ Ramona Wahl, eine weitere Kommentatorin, war 16 Jahre alt und um 23 Uhr noch immer nicht zuhause. Diese Schrecksekunde hat sie nicht vergessen: Plötzlich stand ihr Vater neben ihr im AT, um sie rauszuziehen.

DJ Jens Herzberg hat noch vor Augen, wie es im AT aussah: „Es war meine erste Disco nach der Tanzschule. Man lief die Treppe runter, sah Bilder von vergangenen Jazz-Größen, der Sound war beeindruckend.“ An der oberen Bar habe es eine Abendkarte mit Speisen wie Spaghetti oder Burger gegeben. 1986 ist aus dem AT das Roxy geworden, das es bis 1997 gab. An die glorreichen Zeiten erinnert sich Herzberg gern: „Bis zum Brunnen standen die Leute, um reinzukommen.“

Weil das alte Maxim an der Olgastraße schließen musste, hatten die beiden Chefs Andi Hess und Thommy Lehrer die Idee, die DJs komplett ins Roxy mitzunehmen. Auf diese Weise ist ein Hotspot entstanden. „Samstags gab’s einen Durchlauf von über 2000 Gästen“, sagt Jens Herzberg. Getanzt wurde zu Wave, Rock und Pop.

Vor dem Abriss ist eine große Abschieds-Roxy-Party geplant

Berüchtigt waren die Bukowski-Partys Ende der 1980er im Roxy. Es gab Bier aus der Dose und Hähnchen. Pornofilme liefen auf Röhrenfernsehgeräten. Sex und Alkohol kamen in den Geschichten des US-Schriftstellers Charles Bukowski im Überfluss vor. Das Roxy-Personal, so erzählt man sich bis heute, „wurde jedes Jahr komplett für ein Wochenende auf den Oberwiesenhof in den Schwarzwald eingeladen – alles inklusive“.

Bevor das Haus abgerissen wird, dies steht für Jens Herzberg fest, wird es eine „große Abschieds-Roxy-Party“ geben. Eine Stadt befindet sich im ständigen Wandel. Das, was als Subkultur wichtige Dienste leistet, wird meist irgendwann entsorgt. Doch die Erinnerungen bleiben – und die geben den Menschen Kraft beim Älterwerden.

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