Waggons rumpelten mitten rein in die Innenstadt: Wo heute das Europaviertel auf Weltstädtle macht, befand sich bis Mitte der 1980er der Güterbahnhof. Das Stuttgart-Album blickt zurück auf den einst wichtigsten Umschlagplatz der Stadt.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Eine sensationelle Aufnahme“, schwärmt Michael Binder im Internetforum unseres Stuttgart-Albums, „unfassbar viel gibt es darauf zu entdecken.“ Es geht um ein Luftbild aus dem Jahr 1933. Auf der Facebook-Seite unseres Geschichtsprojekts hat es große Begeisterung ausgelöst – und die Diskussion neu entfacht, ob die Umgebung des Stuttgarter Hauptbahnhofs der Stadt gut zu Gesicht steht oder nicht.

 

Entlang der Heilbronner Straße rangierten schwer beladene Güterzüge. Waren aller Art wurden auf der Schiene herangeschafft und erst in der Stadtmitte auf Lastwagen umgeladen. Anders als der Personenbahnhof war der Güterbahnhof fast rund um die Uhr in Betrieb. Vormittags hat man die Waggons ent-, im späteren Verlauf des Tages beladen. Die Steuerung des im 19. Jahrhundert gebauten Bahnhofs erfolgte über ein Stellwerk nahe der Wolframstraße.

Der Güterbahnhof zählte zu Stuttgarts Sehenswürdigkeiten

Eine Ansichtskarte mit der Aufschrift „Güterbahnhof mit Prag“, die 1905 verschickt worden ist und aus der Sammlung von Wibke Wieczorek stammt, zeigt, worauf die Menschen in Stuttgart damals stolz waren. Die für die damalige Zeit hochmoderne Gleisanlage zählte zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. In dieser Zeit befand sich der Zentralbahnhof unweit des Schlossplatzes. Der heutige Hauptbahnhof ging 1922 in Betrieb. Auf dem Luftbild von 1933 ist zu sehen, wie der Bonatz-Bau vollständig mit seinen Flügeln ausgesehen hat. Auf dem Bahnhofsturm war noch kein Stern, und im Schlossgarten standen noch viele Bäume. Am Ende der Königstraße befand sich das Königstor, das 1922 abgerissen wurde, damit der Verkehr schneller durchkommt.

Auf dem 16 Hektar großen Areal des Güterbahnhofs ist mittlerweile das Europaviertel entstanden. Anfang der 1980er Jahre hatte die Stadt beschlossen, die rumpelnden Waggons mit der lärmenden Warenanlieferung von der City fernzuhalten. Speditionen waren zunächst nicht begeistert, dass sie nach Kornwestheim umziehen mussten. Mit dem ersten Neubau auf dem freigewordenen Gelände hat die Südwestdeutschen Landesbank (heute LBBW) für umgerechnet etwa 400 Millionen Euro ein architektonisches Zeichen gesetzt, das von Anfang an umstritten war. Auch die Sparda-Bank ließ sich in jenem Quartier nieder.

Stadtbibliothek ist 2011 eröffnet worden

Das Bahngelände wurde zum Bankenviertel, dessen Straßen- und Platznamen nach europäischen Metropolen benannt sind. Die Stadtbibliothek am Mailänder Platz, entworfen vom Architekten Eun Young Yi, ist 2011 eröffnet worden. Die hitzige Diskussion im Facebook-Forum unseres Stuttgart-Album zur Neubebauung mit Milaneo und Cloud No. 7 zeigt, wie weit die Meinungen zum neuen Stadtquartier bis heute auseinandergehen. Marcel Zügel beklagt „einen Betonklotz nach dem anderen“. Schön gehe anders, findet er. „Die Bibliothek hat kaum Raum“, kritisiert Helga Kurz, „und wird von modernen Allerweltsbauten bedrängt.“

Marc M. Luppa hält dagegen: „ Die Bibliothek ist ein architektonisches Meisterwerk! Die restlichen Gebäude des Europaviertels finde ich auch sehr ansprechend – ich hätte dem Pariser Platz nur mehr Grün gewünscht.“ Noch ist nicht bekannt, ob sich die Mailänder beklagt haben, welchem Platz in Stuttgart sie ihren Namen geliehen haben.

Diskutieren Sie mit: www.facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Serie sind drei Bücher erschienen, zuletzt „Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag.