Man nannte es das „Sechs-Mädel-Haus“. Bis 1998 bestritten sechs Mitarbeiterinnen auf 25 Quadratmetern in einem Betonklotz auf dem Kleinen Schloss­platz den Vorverkauf für die meisten Konzerte in Stuttgart. Das Kartenhäusle weckt Erinnerungen an internetlose Zeiten.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Trotz langer Haare“, mahnte ein Kommentator der Stuttgarter Nachrichten im Juli 1970, sollte man die Jugend „nicht über einen Kamm scheren“. Die Betontreppe vor dem Kartenhäusle des Kleinen Schlossplatzes war in dieser Zeit ein beliebter Treff von „Hippies und Möchtegern-Hippies“, wie im Lokalteil damals zu lesen war. Die Sorge vieler Bürger sei aber unbegründet, versicherte der Redakteur: „Die Langhaarigen, die sich jeden Tag im Schatten des Kartenhäusles niederlassen, sehen nicht so aus, als ob sie Passanten belästigen und Geschäftsleute bedrohen wollten.“

 

Seit 20 Jahren gibt es das legendäre Kartenhäusle nicht mehr – viele Karten von damals aber werden noch als Erinnerungsschätze aufbewahrt. Antonio Arnesano weiß genau, weshalb er hier zugeschlagen hat. „Police 82, Kool and The Gang 82, Queen 82 , alles dort gekauft“, schreibt er im Facebook-Forum unseres Stuttgart-Albums, „damals traten alle in der Böblinger Sporthalle auf.“

Pauls Boutique war für sieben Jahre ein Zentrum des Nachtlebens

Mitunter musste man lange anstehen, bis man dran war. Nicht per Mausklick konnte man wie heute Konzerte aufrufen und die Karten dafür ausdrucken. Die Damen im Häusle mussten in Karteikästen und Schachteln das gewünschte Ticket heraussuchen. Helga Kraft, eine gelernte Bürokauffrau, hatte 1968 die Vorverkaufsstelle auf dem ebenfalls 1968 eröffneten Kleinen Schlossplatz gepachtet. Zuvor war das Kartenhäusle als Nachkriegsprovisorium an der Ecke Königstraße/Planie gestanden.

Nach langem Streit war 1965 das Kronprinzenpalais abgerissen worden, damit Autos und Straßenbahnen schneller in den Westen kamen. Über den Verkehrsknotenpunkt stülpten die Architekten einen Deckel, den sie „Stadtbalkon“ nannten. Über Jahrzehnte hat sich die Stadt vom Planie-Durchbruch kaum erholt. Bis der Neubau des Kunstmuseums begonnen hat, sollten Provisorien die Wartezeit überbrücken. Die 1993 zur Leichtathletik-WM gebaute Freitreppe wurde zum beliebtesten Treff der Stadt. In leeren Läden auf der Betonplatte entstand mit der Bar Pauls Boutique für sieben Jahre ein Zentrum des Nachtlebens.

Easy Ticket ist 1993 gegründet worden

Die rasant wachsende Konkurrenz des Online-Kartenverkaufs hat einer Institution vom Kleinen Schlossplatz das Leben immer schwerer gemacht. Die WM der Leichtathleten war 1993 die Geburtsstunde von Easy Ticket, einer Tochter der Messegesellschaft. Noch fünf Jahre dauerte es, dann war das Kartenhäusle am Ende. Die Mitgesellschafter – die Konzertdirektion SKS und die Messegesellschaft – sahen keine Zukunft mehr für den Kartenverkauf im alten Stil.

Vielen Facebook-Usern wird es warm ums Herz, wenn sie im Stuttgart-Album die alten Fotos vom Kartenhäusle sehen. Denn Erinnerungen an die ersten Konzerte sind so stark wie Erinnerungen an die erste Liebe.

Diskutieren Sie mit unter: www.facebook.com/Album.Stuttgart. Die Bücher zu unserer Geschichtsserie sind im Silberburg-Verlag erschienen.