Bis zum 2. Oktober hat OB Frank Nopper den Kleinen Schlossplatz zum „Genussplätzle“ erklärt. Wir erinnern an frühere Genüsse und Abstürze an einem emotionalen Ort. Vom Mövenpick übers Kartenhäusle bis zu Paul’s Boutique – viel ist passiert in zentraler Lage.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Die Weingläser hoch! Auf dem Kleinen Schlossplatz soll der Ruf der Innenstadt verbessert werden, indem sich die Leute zuprosten. „Genussplätzle“ nennt sich, was sich die Stadt und der Verein Pro Stuttgart für die Freifläche hinter dem Kunstmuseum ausgedacht haben. Bis zum 2. Oktober sollen sechs Stände von Stuttgarter Gastronomen an diesem zentralen, geschichtsträchtigen und konfliktbeladenen Ort „für eine angenehme Atmosphäre“ sorgen. „Wir wollen verhindern, dass ein Platz zu einer No-Go-Area wird, dass ein Platz zu einem Platz der Auseinandersetzung, der Konfrontation und der Konflikte wird“, sagt OB Frank Nopper (CDU).

 

Genuss kontra Krawall - so könnte die Devise lauten. Genuss kennt viele Gesichter. Gerade der Kleine Schlossplatz hat seit der Eröffnung am 4. Dezember 1968 viele Arten von Genüssen erlebt, aber auch von Abstürzen.

Am Anfang war die Genussfreude groß

Einer der emotionalsten Orte von Stuttgart - gleich nach dem Krieg ist ein heftiger Streit um den Abriss des Kronprinzenpalais entbrannt, das sich hier befand - hat nun den putzigen Beinamen „’s Genussplätzle“ erhalten. Klingt nicht unbedingt nach Weltstadt, sondern eher provinziell. Und das ausgerechnet hinter dem fürwahr großstädtischen Kunstmuseum! Aber noch immer machen sich viele Kesselkinder kleiner als sie sind. Man nennt das schwäbischen Diminutiv. Hat wohl was mit Understatement zu tun. Wichtigtuer sind uns suspekt. Aber ein bisschen mehr Stolz darf’s an diesem historischen Ort mit einzigartiger Lage schon sein. Sonst wird aus dem Schlossplatz eines Tages noch das Schlossplätzle.

Am Anfang war die Genussfreude groß. Als bei der Eröffnungszeremonie im Winter 1968 der etwa 100 Millionen D-Mark teure und fast 6000 Quadratmeter große Kleine Schlossplatz von den Stadthonoratioren gefeiert worden ist, schrieb die „Frankfurter Zeitung“ begeistert über diese Betonburg: „Alles, was in und um Stuttgart als jung, frisch, flott gelten will, lässt sich hier sehen.“ Verkauft wurden hier Poster, Schallplatten, Halsketten, Lederröcke, Konzertkarten im Kartenhäusle und vieles mehr.

Die Anfangseuphorie hielt nicht lange

Jahrelang war über den Abriss des Kronprinzenpalais aus Monarchiezeiten gestritten worden. 1956 hatten sich Stadt und Land auf die autogerechte Tunnellösung geeinigt. OB Arnulf Klett wollte den Grundriss der City neu ordnen. Bahnhofserbauer Paul Bonatz zählte zu den Verlieren. Vergeblich hatte er dafür plädiert, „den wichtigen Teil des Stadtgedächtnisses zu erhalten“.

Die Anfangseuphorie hielt nicht lange. Die „Mini-City für Trends“ geriet zum Pflegefall. Der Kleine Schlossplatz stand für Drogen, Schmutz, Tristesse. Zu einem sozialen Brennpunkt war ein Quartier geworden, das Paul Bonatz mit dem Palais zum „edelsten Bezirk der Stadt“ erklärte hatte. Lampen wurden zerstört, doch keiner erneuerte sie. Von so viel Hässlichkeit schienen selbst Efeu und Wilder Wein zurückzuschrecken. Alle Versuche, den Beton zu beranken, scheiterten kläglich. Dann wurden Pflanzenkübel aufgestellt, „um die Leute zu vertreiben“, wie der Architekt Max Bächer klagte.

Ach, wie wurde der Freundschaftsbecher vom Möpi geliebt!

Das Mövenpick auf dem Kleinen Schlossplatz sorgte für Genüsse, die bis heute unvergessen sind. Radiolegende Rainer Nitschke erinnert sich „Wenn mich Stars im SDR besuchten, ging ich oft mit ihnen ins Möpi.“ Auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums schlagen die Emotionen hoch. Sabine Dahlhaus schreibt: „Im Postershop hab ich mein erstes Walflossenposter gekauft. Verliebt den Freundschaftsbecher im Möpi gefuttert und den Skatern und BMX- Fahrern zugeschaut. Auf der Rolltreppe mit Papa in die falsche Richtung um die Wette gerannt und etwas später im Kartenhäusle angestanden.“

Regine Hugendubel postet: „Das Möpi-Restaurant war ein beliebter Treffpunkt mit guter Gastronomie. Mein Favorit: Hähnchensalat Francoise. Auf dem Parkplatz haben Schickimickis die neuesten Harleys und Sportwagen vorgeführt. Meistens mit Vollgas dreimal um den Parkplatz, dass es auch jeder auf der Terrasse sehen konnte.“ Und Harald Frank lässt uns wissen: „Mit den Nachbarjungs erfolglos versucht, beim Kartenhäusle Karten für ein Spiel VfB - Bayern München zu bekommen. Da war doch auch der Modellbahn-Laden Emhardt, der vom Königsbau auf den Kleinen Schlossplatz gezogen ist.“

Die Subkultur fand eine Nische

Eine neue Situation entstand, als die Königstraße 1977 zur Fußgängerzone wurde. Die Fahrspuren mit ihren beiden schwarzen Eingangslöchern blieb unter dem Betondeckel verwaist, der damit seinen Sinn verloren hatte. Denn der Verkehr war um einen Stock tiefergelegt. Zur Leichtathletik-WM 1993 kam Walter Belz, einem der drei Architekten des umstrittenen Betonplateaus, die Idee, eine 30 Meter breite Freitreppe von der Königstraße hoch zum Kleinen Schlossplatz zu bauen. Dies war ein Glücksfall für die Stadt.

Dazu fand die Subkultur eine Nische. Wo gekündigte Läden leer standen, wo viele einen „Schandfleck“ sahen, setzte der drohende Abriss Kreativität und Fantasie frei. Den größten Erfolg hatte die 1996 eröffnete Bar Paul’s Boutique, die sich im ehemaligen Kartenhäusle niederließ und Tausenden zu den ersten Caiphi-Genüssen verhalf. 2002 allerdings kamen erneut die Abrissbagger, damit das in der Stadt lang ersehnte Kunstmuseum gebaut werden konnte - für neue Kunstgenüsse!

Beim Genießen ist Stuttgart gut dabei!

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