Der gastronomische Neustart im Schmellbachtal führt zu einem riesigen Ansturm – und ruft Erinnerungen ans Rohrer Waldfreibad wach, das in den 1960ern geschlossen wurde. Was früher hier los war und wie die Wirte reagieren nach den Chaos vom Wochenende.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Wer damals im Quellwasser mitten im Wald geschwommen ist – bis in die 1960er Jahre war dies möglich – hat die kleinen Plagegeister nicht vergessen: Immer wieder wird von Bremsen und Schnaken erzählt, die sich im Schmellbachtal ebenfalls sehr wohlgefühlt haben. „Kommunistenbädle“, so nannte man vor dem Krieg das Schwimmbecken, weil es die Rohrer Naturfreunde mit traditionell linker Einstellung in Zeiten der hohen Arbeitslosigkeit 1926 in Eigenarbeit erbaut haben. Heute gehört das idyllische Areal im Grünen zu Leinfelden-Echterdingen.

 

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Als unsere Zeitung kürzlich über die Pläne von Jessica Göthel und Julian Schramm berichtet hat, die das Gelände der katholischen Kirche abgekauft haben und dort nach einem radikalen Umbau ein Slow-Food-Restaurant eröffnen wollen, kam es zu einem chaotischen Ansturm auf den bereits gestarteten „Baustellen-Biergarten“ des Waldgasthofs beim Klettergarten, der kaum zu bewältigen war. „Wir hatten dreimal so viele Gäste wie zuvor“, berichtet Jessica Göthel, die einst für Daimler bei der Formel 1 unterwegs war, „selbst aus 120 Kilometern Entfernung ist eine Familie angereist, weil sie von uns in der Zeitung gelesen hat.“ Convenience gibt’s bei ihr nicht. Die 300 Kilo Kartoffeln, die das Team in der Nacht zu Pommes verarbeitet hatte, waren nach wenigen Stunden aus. Die Wartezeiten wurden immer länger. Die eigentlich noch nicht fertig umgebaute Terrasse oben ist zusätzlich geöffnet worden. Und dann kam es noch zu einem Arbeitsunfall! Einer der Köche ist mit dem Messer ausgerutscht und musste vom Notarzt in eine Klinik gebracht werden.

Gäste reisten selbst aus 120 Kilometer Entfernung an

Für einen Moment überlegten die Biergarten-Macher, doch Tiefkühlpommes zu besorgen, um dem Ansturm Herr zu werden. Doch an ihren hohen Ansprüchen wollte das junge Eigentümerpaar festhalten und verschenkte am Nachmittag das verbliebene Essen, weil man bei der Fülle der Bon-Ausdrucke nicht mehr nachgekommen ist.

Das Wasser war etwa 18 Grad kalt

„Jetzt am Wochenende war’s so voll wie früher“, bemerkte eine ältere Besucherin mit leuchtenden Augen in Erinnerung an das, was bis in die 1960er Jahre hier los war. Nach dem Krieg kamen an einem schönen Sommertag bis zu 3000 Badegäste, die meisten liefen zu Fuß von Rohr herauf. „Da das Becken aus dem Schmellbach und aus den drei Brunnen  gespeist und unter der Woche aufgestaut worden ist, betrug die Wassertemperatur am Wochenende maximal kalte 18 Grad“, erinnert sich ein Gast. Das durch den menschlichen Eingriff geschaffene Feuchtgebiet – heute würde man Biotop dazu sagen – war mit seiner Lage im Tal eine Brutstätte für die kleine Blutsauger. Heute ist dieses Problem mit der Renaturierung des fließenden Schmellbachs nicht mehr gegeben.

Eigentlich wollten die Naturfreunde den Rohrer See zu einem Badesee für den Verein und für die Allgemeinheit umgestalten. Im Jahr 1925 hatten sie deshalb den Rohrer Gemeinderat um finanzielle Hilfe dafür gebeten. Man wollte den Platz am See mitten in Rohr einzäunen und als Krönung dort eine Hütte mit Umkleidekabinen bauen. Doch für diese Idee fand sich keine Mehrheit bei den Parteien. Daraufhin suchten die Naturfreunde nach Alternativen in der Nähe und erstanden im Juli 1926 ein Waldareal im Schmellbachtal. Finanziert wurde der Grundstückskauf und der Bau des Waldfreibads größtenteils von den Mitgliedern selbst. Verkauft wurden Kaffee und Kuchen, was zur Finanzierung des Ausflugsziels diente.

Ein junges Paar hat das Areal von der katholischen Kirche gekauft

In den 1930ern gab es internen Streit bei den Naturfreunden. Der Freibadverein spaltete sich ab. Unter den Nazis wurden beide Gruppen verboten und das Waldfreibad beschlagnahmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Clubs unabhängig voneinander neu entstanden. Ein Vaihinger Reißverschlussfabrikant kaufte das Areal im Schmellbachtal und führte den Badebetrieb weiter, der in den 1960ern endgültig eingestellt worden ist. Zu dieser Zeit hat die katholische Kirche das Gelände erstanden und 1972 ein Waldheim darauf gebaut, das nach mehreren Pächterwechseln heute in den Besitz von Jessica Göthel und ihrem Freund Julian Schramm, einem promovierten Controller, übergegangen ist. Ende Juni oder Anfang Juli wollen sie den von Grund auf sanierten Waldgasthof mit hellem Ambiente im Inneren und einer neuen Fensterfront eröffnen.

Für den nächsten Ansturm, der sich am kommenden Wochenende wiederholen könnte, will das Team gewappnet sein. „Wir werden die Gerichte von der Karte nehmen, deren Zubereitung länger dauert“, sagt Jessica Göthel. Die Pommes werden nachts geschnitzt, auch Mayonnaise und Ketchup erneut wieder selbst hergestellt.