Die Würde Homosexueller blieb sehr lange antastbar. Seit 1979 wird in Stuttgart gegen Ausgrenzung demons­triert. Vor dem CSD, der am Freitag mit der Gala im Varieté startet, erinnert unser Stuttgart-Album an den Kampf für Akzeptanz.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Dass sich eines Tages ein Bundespräsident öffentlich für das Unrecht entschuldigen würde, das der Staat Schwulen und Lesben auch nach Ende der NS-Zeit angetan hat, hätte sich am 30. Juni 1979 wohl keiner der etwa 400 Demonstranten vorstellen können. Dieses Datum markiert in Stuttgart den Beginn der CSD-Geschichte. Auf dem Schlossplatz trug eine zierliche Dame mit weißen Haaren ein Schild, auf dem stand: „Mein Sohn ist schwul! Na und!“

 

Fotos vom ersten öffentlichen Protest gegen Diskriminierung von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen sind heute im Stadtpalais, dem Museum für Stuttgart, ausgestellt. Vielen jungen Leuten ist es fremd, dass man einst seine sexuelle Veranlagung verheimlich musste. Längst scheint es selbstverständlich, dass führende Köpfe der Demokratie zu ihrem Schwulsein stehen, dass sich auch in Stuttgart Abgeordnete und Stadträte dazu bekennen. Der Weg zur Gleichstellung war jedoch ein langer.

Seit 2000 gibt es die CSD-Parade in Stuttgart

Am 30. Juni 1979 also – zehn Jahre nach dem Aufstand der Schwulen gegen Polizeiwillkür auf der Christopher Street in New York – waren die ersten Stuttgarterinnen und Stuttgarter für „Homobefreiung“, wie es damals hieß, auf die Straße gegangen. Weitere Demos folgten in den Jahren 1985, 1994, ehe im Millennium-Jahr der Ansturm so groß war, dass der CSD von da an jährlich samt Parade durch die City gefeiert wurde.

1994 hatte es OB Manfred Rommel abgelehnt, Schirmherr des CSD zu werden. „Die Frage der Zuneigung“, erklärte er, sei „eine Privatsache“. In den Stuttgarter Nachrichten stand über die Demo mit 1000 Teilnehmern (eine Parade gab es noch nicht): „An der Kronprinzstraße versammelte sich ein buntes Völkchen. Einige hatten sich als Nonnen verkleidet, die Kondome warfen. Wilde Tänze zur Musik von Boy George. Mit Sicherheitsabstand verfolgten neugierige Passanten das Schauspiel.“

Die Angst vor Aids war groß

Die Stuttgarter Aids-Hilfe ist 1985 gegründet worden. Der 5. Juni 1981 gilt als der Tag, an dem Aids bekannt wurde. An diesem Tag berichteten Wissenschaftler im Report der US-Gesundheitsbehörde von fünf jungen homosexuellen Männern, die an einer extrem seltenen Art der Lungenentzündung litten. Im April 1983 erschien ein Faltblatt der Szene-Zeitung „Schwulst“ in Stuttgart, das sich mit der mysteriösen Krankheit beschäftigte. Darin hieß es: „Auf Grund der Art des Auftretens der Krankheit schließt man einen virusähnlichen Erreger nicht aus. Hauptsächlich sind homosexuelle Männer betroffen, die viele Partner hatten.“

Auf Einladung von Buchhändler Thomas Ott trafen sich im Oktober 1984 etwa 25 Personen im Liberalen Zentrum. „Damals war das Ausmaß der Aids-Krise noch nicht klar“, schrieb Ott später im „Rainbow“, dem Magazin der Aids-Hilfe, „wir konnten aber spüren, wie Boulevard-Blätter Aids als Aufhänger nutzten, um schwules Leben zu diffamieren.“ Bei dem Treffen beschloss man, ein Beratungstelefon einzurichten. Die Angst war allgegenwärtig. Etliche Anrufer hatten Symptome wie geschwollene Lymphknoten bei sich festgestellt und glaubten, an Aids erkrankt zu sein. Es herrschten bizarre Ansichten über die Ansteckungsgefahren.

Eröffnungsgala mit Frl. Wommy Wonder im Friedrichsbau

Bis der Paragraf 175 abgeschafft wurde, die Ehe für alle kam und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Homosexuelle für die Verfolgung öffentlich um Vergebung bat, mussten viele Menschen auf die Straße gehen. Als politische Demonstration ist die CSD-Parade am 28. Juli angemeldet – sie soll nicht nur Party sein.

Für die Eröffnungsgala des CSD am Freitag, 20. Juli, 19 Uhr, im Friedrichsbau-Varieté mit Frl. Wommy Wonder, Gauthier Dance, Martina Brandl gibt es Karten unter der Telefonnummer 07 11 / 2 55 55 55. Diskutieren Sie mit unter www.facebook.com/Album.Stuttgart. Zu unserer Geschichtsserie sind drei Bücher erschienen, zuletzt “ Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ im Sutton-Verlag.