Die untere Königstraße soll schöner werden. Bis das Areal umgebaut wird, ist eine Zwischennutzung mit Pop-up-Läden und Events geplant. Wir blicken zurück auf die Historie des Marstalls. In den 50ern sah’s hier aus wie in den Vereinigten Hüttenwerken.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Große Pläne werden für ein Viertel geschmiedet, in dem einst die Pferde wieherten. Aus dem „Marstall-Areal“, von dem seit dem 19. Jahrhundert die Rede war, wird nun das „Schlossgartenquartier“. Mit diesem neuen Namen wollen die Eigentümer unterstreichen, dass es bei der Umgestaltung um die Nähe und die Aufwertung des Schlossgartens geht. Mit dem Begriff Marstall können viele Jüngere oft nichts mehr anfangen.

 

Vis-à-vis vom Hauptbahnhof soll die Königstraße zum einladenden Entree werden und architektonisch in die Zukunft blicken. Gebäudebesitzerin ist die Landesbank Baden-Württemberg, deren Tochterfirmen die  Häuser Königstraße 1–3 zwischen Schillerstraße und Pusteblumenbrunnen nebst dem Hotel am Schlossgarten umbauen und zu einem „städtebaulich anspruchsvollen, hellen, sicheren und belebten Viertel“ machen wollen. Bis die Baugenehmigungen vorliegen, ist eine Zwischennutzung der Gebäude vorgesehen - mit Filmsets, Pop-up-Läden und Räumen für Events. Zunächst ist das für die Königstraße 1 c vorgesehen, in dem sich Karstadt befand. Hier werden noch bis Anfang Oktober die Ausstellung „Bauen für eine offene Gesellschaft – Günter Behnisch 100“ der Architektenkammer BadenWürttemberg gezeigt. Ein kreativ spannender Platz könnte dort entstehen. Näheres wollen die Eigentümer im Oktober bekannt geben,

Angefangen hat alles mit dem Marstall des Königs

Die Schlossgartenbau-AG (SAG), ein Unternehmen der LBBW-Immobilien-Gruppe, die über ein Mietflächenangebot von über 40.000 Quadratmeter verfügt, wird auf der unteren Königstraße keine Neubauten errichten, wie zunächst geplant, sondern, wie sie mitteilt, „das bestehende Ensemble auf der Grundlage des aktuellen Bebauungsplans modernisieren und energetisch sanieren“.

Angefangen hat hier alles mit dem Marstall des Königs. Das Wort Marstall hat einen althochdeutschen Ursprung. Es setzt sich zusammen aus Marah oder Mähre (Pferd) und dem Stall. Der Marstall war einst die Bezeichnung für den Pferdestall eines Fürsten, Herzogs oder Königs, als es diese führenden „Berufe“ in Deutschland noch gab. Im Jahr 1803 hat Friedrich I. – da war der spätere König von Württemberg (seit 1806) noch Kurfürst – beschlossen, den Marstall von der Solitude näher an sein Hauptschloss umzusiedeln. Seine Pferde wollte er unweit seines Wohnsitzes haben – nicht unpassend für eine Stadt, die auf den Stutengarten zurückgeht, auf die Pferdezucht in der sumpfigen Talaue.

In den 1920ern wurde der Marstall für Läden und ein Hotel gebaut

 Friedrich I. ließ an der Stelle des ehemaligen Siechenhauses einen Steinbau errichten. Der Marstall war 300 Meter lang und nahm etwa 400 Pferde auf. Was wir heute als Fußgängerzone kennen, war damals die Pferdezone der Residenzstadt.

1810 ließ der Herrscher – nunmehr König – von seinem Hofbaumeister Nikolaus Friedrich von Thouret ein Königstor unweit seines Marstalls errichten, als Abschluss der unteren Königstraße, die seit 1811 diesen Namen trägt. Der Torbogen wurde 1922 abgerissen, weil man ihn als Verkehrshindernis sah, unweit des neu eröffneten Hauptbahnhofs. Nach und nach hatten die Pferde des Königs weichen müssen – und 1918 schließlich der letzte König von Württemberg auch. Von 1922 bis 1924 wurde der Marstall für Läden und ein Hotel umgebaut. Im Innenhof entstanden die Palast-Lichtspiele mit fast 1200 Sitzplätzen.

1960 baute Hertie auf dem einstigen Pferdehofgelände sein Kaufhaus

August Daub, ein in vielen Städten tätiger Filmpionier, hatte das große Kino 1923 im einstigen Pferdestall mit Stummfilmen eröffnet. Rainer Müller schreibt im Facebook-Forum unseres Stuttgart-Albums: „Vor der Bühne lieferte ein Drei-Mann-Orchester die musikalische Untermalung, wie mir meine Mutter erzählte, die anfangs der 1930er als junges Mädchen in den Palast-Lichtspielen zeitweise als Platzanweiserin arbeitete.“

Für die Neugestaltung des Marstall-Geländes wurden nach den Kriegszerstörungen die Palast-Lichtspiele verdrängt. Sie zogen um in den Metropol-Palast an der Bolzstraße, um dort – wie schon die 35 Jahre zuvor — die führende Rolle im Filmleben Stuttgarts zu übernehmen. Einstöckige Provisorien für den Handel entstanden nach dem Krieg. 1960 baute schließlich Hertie auf dem einstigen Pferdehofgelände sein Kaufhaus. Jetzt steht eine weitere Umgestaltung in der langen Geschichte des etwa 19 000 Quadratmeter umfassenden Marstall-Areals bevor.

Abriss ist für den Passagenüberbau geplant

Für die „Revitalisierung“ soll es einen Abriss geben. Verschwinden soll das Gebäude über der Theaterpassage. Dafür braucht die Bauherrin dann zumindest eine Befreiung vom alten Bebauungsplan. Über die Baugenehmigung will Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) im Herbst mit den Stadträten reden. Dann dürfte gerade der Architektenwettbewerb für die Überarbeitung des Hotelgebäudes laufen. Die Abrissgenehmigung für den Passagenüberbau scheint ziemlich sicher. Auch im Rathaus ist das Interesse groß, die Gebäudeflucht an der Königstraße besser zu gliedern – damit könnte das Sicherheitsgefühl in den Abendstunden in der Passage und im Oberen Schlossgarten deutlich verbessert werden.

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