In Stuttgart-Degerloch entsteht ein Gebäude, an dem sich viele Nachbarn aufreiben. Sie sagen: Das Haus sei höher, als es sein dürfte. Der Bauherr schwärmt derweil vom Modellcharakter des Gebäudes.

Degerloch - Die Sache lässt sie nicht ruhen und macht sie immer noch sauer. Vom Wohnzimmer aus kann Ursula Baumbach den Stein des Anstoßes gut sehen. Und was noch schlimmer für sie ist: Das neue Haus vor ihrer Nase nehme ihr auch noch die Morgensonne weg.

 

Weil sie sich über die Ausmaße des Vier-Familien-Hauses aufregt, hat die Degerlocherin gegen die Baugenehmigung des Baurechtsamts Stuttgart Widerspruch eingelegt und die aufschiebende Wirkung der Genehmigung beantragt. Doch das Verwaltungsgericht kam zu dem Schluss, dass es dafür zu spät sei, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits der Rohbau stand. Pikanter Weise hat das Gericht den Beschluss erst ein halbes Jahr nach der Antragstellung gefasst. Außerdem wurde im Verfahren festgestellt, dass der Dachstuhl ohne Baufreigabe erstellt worden war.

All diese Punkte regen Ursula Baumbach sehr auf und frustrieren sie zugleich. Denn ihre Hauptkritik an der „Überdimensionierung des Neubaus“ bleibt ungeahndet. Das maßgebliche Ortsbaurecht, die sogenannte Baustaffel 6, wurde offensichtlich mehrfach verletzt. Das bestätigt das Baurechtsamt auf Anfrage unserer Zeitung. Es sei richtig, dass es Befreiungen vom Ortsbaurecht gegeben habe. „Details können wir aus Datenschutzgründen aber nicht mitteilen“, heißt es aus dem Amt.

Vom Ortsbaurecht befreit

Wie von verschiedenen Nachbarn zu hören ist, wurden die vorgeschriebenen Baulinien überschritten. Die Höhe des Gebäudes bis zur Traufe rage um fast zwei Meter über das vorgeschriebene Maß von acht Metern hinaus. Es wird außerdem von mehreren Nachbarn, die anonym bleiben möchten, bezweifelt, dass die in der Baustaffel festgelegte Zahl von zwei Vollgeschossen eingehalten wird.

Das als Erdgeschoss derzeit gut sichtbare Stockwerk zählt nach Einschätzung des Baurechtsamts nicht als Vollgeschoss. Ein solches Vollgeschoss liege nur dann vor, wenn mindestens die Hälfte davon mit zwei Metern aus dem Erdreich rage.

Bauherr: alles rechtens

Allerdings: Derzeit ragt ein Großteil des Geschosses deutlich aus dem Boden. Die Erde werde noch entsprechend angehäuft, erklärt der Bauherr Uwe Eggert auf Anfrage unserer Zeitung. Dies bezweifeln die Nachbarn. Schließlich befinde sich auf der Ostseite des Gebäudes im Erdgeschoss der Eingang, und auf der Westseite seien Terrassen geplant. Der Bauherr beteuert dagegen, dass alles rechtens sei. „Das Gebäude ist vom Baurechtsamt genehmigt worden“, sagt er.

Im Übrigen verweist Eggert, der von Beruf Architekt ist, auf die Modellhaftigkeit des neuen Gebäudes. „Das ist ein Pilotprojekt“, sagt er. Mithilfe von Fotovoltaik werde der Energiebedarf des Gebäudes gedeckt. „Wenn die Sonne richtig scheint, können sogar 60 Prozent der Energie ins Netz abgegeben werden.“ Eggert kommt förmlich ins Schwärmen: Mit der Sonnenenergie könne auch der Strom für die Ladestationen von E-Autos geliefert werden, sagt er.

Früherer Bauantrag abgelehnt

Die Nachbarn wundern sich, dass das Vorhaben immer noch als Pilotprojekt gilt Schließlich habe der Bauherr bereits im Jahr 2014 mit dessen Zukunftsträchtigkeit geworben. Damals habe er allerdings einen anderen Bauplan eingereicht gehabt. „Das Gebäude hatte ein Stockwerk weniger als das jetzige“, sagt Ursula Baumbach. Und trotzdem sei es damals vom Baurechtsamt nicht genehmigt worden. Sie vermutet, dass dies daran liegt, dass die Verantwortlichen inzwischen gewechselt hätten.

Sie kann nicht nachvollziehen, warum die Baugenehmigung jetzt erteilt wurde. „Ich verstehe nicht, dass man mit solchen Tricksereien einfach durchkommt“, sagt Baumbach. Sie wisse natürlich, dass neue Wohnungen dringend gebraucht werden. „Bei Neubauten müssen aber Vorschriften, die auch zum Schutz der Nachbarn da sein sollten, beachtet werden“, sagt sie.