In Stuttgart sind derzeit die besten Produktionen des internationalen Kinder- und Jugendtheaters zu sehen. Einige loten Grenzen aus und gehen dahin wo es wehtut. Groß und klein sollten gute Nerven mitbringen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Es geht also doch noch! Endlich gibt es wieder Kultur satt – vor vollem Haus. Zum Auftakt des Festivals „Schöne Aussicht“ am Sonntag zeigte sich das Junge Ensemble Stuttgart wie in alten Zeiten. Eine Woche lang treffen hier internationale Theaterensembles auf die Kollegenschaft aus Baden-Württemberg, um das zu tun, was für Künstler wie Publikum nach das Schönste ist: sich inspirieren zu lassen.

 

Dazu hat das NIE-Theatre aus Norwegen Archivschränke nach Stuttgart gekarrt, in denen das Leben von Markus steckt – und das, was die anderen von diesem Jungen in Erinnerung behalten. Auf Klapphockern sitzt das Publikum mitten in diesem Archiv und taucht in „Museum of Memories“ ein in die Vergangenheit eines Jungen, der eigentlich eine normale Kindheit hatte. Kicken mit dem großen Bruder, Blödsinn machen mit dem großen Bruder, die erste Zigarette mit dem großen Bruder – und ein großer Bruder, dem es ganz schön auf den Zeiger geht, dass Markus ihm immer am Rockzipfel hängt. Musik, Witz und Lust am Spielen zeichnet dieses Kinder- und Jugendtheaterfestival aus, dessen Themen durchaus ernst sind. Die ausgewählten Produktionen halten kurzweilige wie intensive Momente bereit, wollen aber auch Dinge ansprechen, die oft unter den Teppich gekehrt werden. Markus ist depressiv, sein junges Leben fühlt sich an wie eine Fahrt durch einen Tunnel, in dem es nur selten hell wird. Am Ende bekommt der große Bruder einen Anruf: Markus hat sich umgebracht. Auch er hat es wie die Zuschauer irgendwie geahnt.

Verletzliche Kinderkörper

Bei aller existenziellen Dimension ist das originelles und lustvolles Theater. Und auch in „Promise me“ im Theater Rampe geht es schmerzhaft zu. Es geht um Vertrauen in diesem Tanztheater des belgischen Kabinet K, bei dem fünf Kinder selbst lernen mussten, den beiden erwachsenen Tänzern zu vertrauen, die sie wie Pakete schleppen, schleudern, sich um den Körper wickeln. Das ist kein Tanz, sondern eher Balgerei, Toben und Tollen, sehr physisch und intim, zumal die Mädchen oft nur wenig anhaben, was ihre zarten Körper umso verletzlicher wirken lässt. Es geht um Widerstand und Abwehr, wozu an Armen und Beinen gezogen wird und immer wieder die langen Mädchenhaare verknotet, gewickelt und gewirbelt werden. Hier binden die Kinder sich Stoffe um die Füße, die sie aneinander fesseln, dort umklammern die Männer sie mit festem Griff. Die Kinder beweisen dabei nicht nur enorme Ausdauer, sondern wirken selbstbewusst und fröhlich. Trotzdem ist das permanente Ausreizen von Grenzen auf die Dauer monoton, zumal der Musiker Thomas Devos auf der E-Gitarre mit harten, sich wiederholenden Sounds, anfeuert. Das ist eher enervierend als kennerhaft. Dem Fachpublikum könnte es dennoch Anreiz sein, solche Tanzexperimente mit Kindern zu erproben.

Schöne Aussicht“ bis 15. Mai