Der Autor Eric Carle feiert am Dienstag seinen 90. Geburtstag. Zur Schule ist er in Stuttgart gegangen

Feuerbach - Was aus einem kleinen Ei, das nachts im Mondschein auf einem Blatt klebt, werden kann, das wissen viel mehr als 50 Millionen Kinder: erst eine dicke kleine Raupe, die sich durch Früchte, Schokokuchen, Eiswaffel, saure Gurke und schließlich Blatt frisst – dann ein Schmetterling. Dank des Kinderbuchs „Die kleine Raupe Nimmersatt“, denn das wurde laut Gerstenberg-Verlag mehr als 50 Millionen Mal verkauft und in 64 Sprachen übersetzt. „The Very Hungry Caterpillar“, so der Originaltitel, hatte am 20. März 2019 sein 50. Erscheinungsjubiläum. Am 25. Juni feiert der Autor Eric Carle 90. Geburtstag. Und darauf mag mancher Feuerbacher anstoßen: Zwar wurde der Sohn deutscher Einwanderer 1929 in Syracuse im Bundesstaat New York geboren. Aber seine Kindheit und Schulzeit verbrachte er in dem Stuttgarter Stadtteil: 1935 kam der Sechsjährige mit seinen Eltern, Erich Carle und Johanna, geborene Oelschläger, aus den Staaten, weil die Großeltern die Auswanderer baten, heimzukehren.

 

In Feuerbach erlebte Eric allerlei tierisch Prägendes: Spaziergänge mit seinem Vater durch den Wald Richtung Schloss Solitude, Salamander, Käfer und Tausendfüßler entdeckend, Papas Geschichten lauschend. „Von ihm habe ich meine Liebe zu allen Lebewesen geerbt“, so Eric Carle. Auch seine Freude am Bildermachen kam vom großen Erich, der gerne zeichnete, dem kleinen Comics aus der Sonntagszeitung vorlas. Schön sei es auch bei Onkel August und Tante Mina in der Stuttgarter Altstadt gewesen: Der Onkel malte an der Staffelei, die Tante verteilte Leckeres.

Lieblingsspielwarenladen war zerstört

Alptraumhaft indes war Nazideutschland und dessen Schulen voller Strenge, Schläge, Lieblosigkeiten. Auf dem Schulweg entdeckte er einmal, dass sein Lieblingsspielwarenladen zerstört war – es war der Tag nach der Reichskristallnacht. Lichtblicke indes zeigte ihm sein Kunstlehrer Krauss: Reproduktionen „entarteter Kunst“ – Kandinsky, Picasso, Matisse. Er habe gewarnt, es niemandem zu erzählen, allein die Freiheit des Ausdrucks im Kopf zu bewahren.

Carles Talent sah Professor Friedrich Schneidler. Er nahm ihn nach dem Krieg an der Stuttgarter Kunstakademie auf, mit 15 eigentlich drei Jahre zu jung, ohne mittlere Reife oder Lehre. Sein Grafikstudium habe ihn endlich wieder atmen lassen, so Carle. Das Kreative, das sich in ihm gestaut hatte, konnte heraus. Nach Stationen wie Amerika-Haus und Modemagazin ging er zurück in die USA zur New York Times. Seine Bestimmung erkannte er, als er das Buch „Brauner Bär, brauner Bär, siehst du wen?“ des Pädagogen Bill Martin illustrierte.

Literatur für die Allerkleinsten wie die Größeren

Seinen Posten als Art Director gab er auf, begann als freiberuflicher Grafiker und Illustrator. Die Arbeit an „Brauner Bär“ und an „1,2,3 ein Zug zum Zoo“, sein erstes eigenes Kinderbuch, habe ihn erfüllt, erinnert er sich. „Ich zweifelte jedoch, ob ich mit dieser Arbeit auch meine monatlichen Rechnungen bezahlen könnte.“ Damals ahnte er freilich nicht, dass sein zweites Werk über die nimmersatte Raupe mal zu den berühmtesten Bilderbüchern der Welt gehören würde. Die Idee dazu kam, als er Löcher in ein Papier stanzte und an einen Bücherwurm dachte. Mit seiner Lektorin Ann Beneduce sinnierte er über die Tierwelt – als der Schmetterling geistig im Raum flog, war alles klar. Die „Raupenlöcher“ sollen die ersten in einem Buch gewesen sein – auch die mit der Essensmenge erweiterten Seiten. So entstand Literatur für die Allerkleinsten wie die Größeren. Symbolisiert die Raupe nach Carle doch die Hoffnung, dass sich jedes Kind verwandeln und Talente entfalten könne. Er widmete dieses Bilderbuch seiner jüngeren Schwester Christa, die in Leonberg wohnt. Danach sollten mehr als 80 weitere Werke folgen.