Gregor Gysi machte Halt in Stuttgart. Den ein oder anderen Seitenhieb auf den CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet konnte er sich am Dienstagabend nicht verkneifen.

Stuttgart - Er hat nichts verlernt. Er kann es immer noch, Menschen für sich einnehmen, dafür sorgen, dass sie ihm zuhören, wenn er durch seine Pointen und Schelmengeschichten hüpft. Und wenn man unter den rund 400 Zuhörerinnen und Zuhörern am Rotebühlplatz steht, dann begreift man sehr schnell, weshalb Gregor Gysi noch immer wegen seiner Eloquenz geachtet wird.

 

Da steht der bekannteste Linkspolitiker Deutschlands also um 19.20 Uhr – sonnengebräunt in einem rehbraunen Trenchcoat und macht Politik greifbar. Gysi ist inzwischen 73 Jahre alt, es ist ein Alter, in dem sich andere ein Wohnmobil kaufen oder eine Kreuzfahrt zum Nordkap unternehmen. Gregor Gysi aber gibt lieber den außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Bundestag und war davor Partei- und Fraktionsvorsitzender. Und er hat noch nicht genug. In seinem Wahlkreis Treptow-Köpenick, den er seit 2005 im Bundestag vertritt, kämpft er die Tage um ein erneutes Mandat. Es könnte funktionieren.

Viele junge Wählerinnen und Wähler im Publikum

Auch für einen jungen Mann aus dem Ostalbkreis hat sich die Tour nach Stuttgart gelohnt. Fast 100 Kilometer ist er gefahren, um Gysi live zu sehen und er konnte mit dem Elder Statesman der Linken ein Selfie machen. Gerne hätte er sich in Gysis Buch „Ein Leben ist zu wenig“ noch ein Autogramm reinschreiben lassen, aber der Hund hätte die Lektüre kürzlich zerfleddert, erzählt der 23-Jährige. Es sind viele junge Wählerinnen und Wähler im Publikum, die von Bernd Riexinger, der die Landesliste anführt, und Stuttgarts Direktkandidatin Johanna Tiarks auf den Auftritt von Gysi eingestimmt werden. „Gregor ist ein Zugpferd für uns. Schön, dass er hier ist“, sagt Riexinger. Er und Tiarks streifen die Themen, die den Linken wichtig sind: Es geht ums Klima, Gleichheit, um Pflege, Löhne und Renten sowie steigende Mietpreise. Und zusammen mit Gysi eint sie der Wunsch, das Land gerechter machen zu wollen.

Gysi fordert eine ökologische Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung. „Wenn man ein Braunkohlerevier schließt, müssen alle Kumpel wissen, welchen gleichbezahlten Job sie am nächsten Tag haben. An der Stelle unterscheiden wir uns von den Grünen“, sagt Gysi, der gewohnt vergnügt und selbstironisch rüberkommt.

Seitenhiebe auf Laschet bleiben nicht aus

Den ein oder anderen Seitenhieb auf den CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet kann er sich dabei nicht verkneifen. „Mir fehlt die Fantasie, mir Laschet auf Augenhöhe mit Putin und Biden vorzustellen“, sagt er. Und mal in Fahrt wettert Gysi gegen den Neoliberalismus und macht Vorschläge für eine Rentenreform. Gleichzeitig wünscht er sich ein Bündnis der Linken mit dem Mittelstand, der die finanzielle Hauptlast im Lande trage. In der Außenpolitik und den Beziehungen zu Russland und China beruft er sich auf Willy Brand und dessen Mantra vom „Wandel durch Annäherung“.

Und wie sieht es mit einer möglichen Regierungsbeteiligung aus? Gysi verweist darauf, dass die Linke Bürgermeister, Minister und sogar einen Ministerpräsidenten stelle. „Man braucht die Kraft, um Ja zu sagen, aber auch dafür, Nein zu sagen“, sagt er. Die Partei dürfe ihre Identität nicht verlieren. Deshalb könne nur die Länge eines Schrittes, aber kein Richtungswechsel ein Kompromiss in einem möglichen Bündnis sein. Der Applaus ist ihm sicher nach 45 Minuten. Und einen hat Gregor Gysi an diesem Abend in Stuttgart schon von seiner Partei überzeugt: Der junge Mann von der Ostalb ist begeistert von dessen Auftritt und wird seine beiden Kreuze bei den Linken machen.