Kurz vor Weihnachten wird aus dem Flüchtlingsheim in Stuttgart-Heumaden relativ unerwartet eine Familie aus dem Kosovo abgeschoben. Die Eltern hatten bereits Ausbildungsplätze. In Heumaden sind viele geschockt.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Heumaden - Karl-Heinz Lubotzki ist seit mehr als 20 Jahren in der Flüchtlingsarbeit tätig. Für den Diplom-Sozialpädagogen, der im Flüchtlingsheim Heumaden tätig ist, sind Abschiebungen keine Seltenheit; trotzdem beschäftigt ihn ein Fall derzeit besonders: Vier Tage vor Weihnachten wird die Familie Haliti morgens aus der Unterkunft, die von der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt getragen wird, von der Polizei abgeholt. Am Abend landen sie im Kosovo: abgeschoben.

 

Wenn Menschen aus dem Kosovo in Deutschland Asyl beantragen, stehen ihre Chancen immer schlecht. Kosovo zählt – wie alle Balkanstaaten – zu den sicheren Herkunftsländern. Asylbewerber aus diesen Ländern werden üblicherweise abgeschoben, wenn sie nicht vorher freiwillig ausreisen. So betrachtet ist die sechsköpfige Familie, die seit Februar 2015 in der Flüchtlingsunterkunft in Heumaden lebte, nur ein Fall von vielen. Doch die Abschiebung von Adelina Imeri und Mehdi Haliti mit ihren vier Kindern im Alter zwischen vier und 13 Jahren lässt den Sozialarbeitern und vielen Heumadenern keine Ruhe.

Anfang Dezember heißt es noch, dass die Familie nicht abgeschoben wird

„Unser Telefon und die Türklingel steht nicht mehr still“, berichtet beispielsweise die Heumadenerin Mieke Piazza, deren elfjährige Tochter Lea mit der ältesten Tochter der Familie, der 13-jährigen Aurona, befreundet ist. Alle würden wissen wollen, wo die Halitis seien und wie es ihnen gehe. Dieses große Interesse der Heumadener an der abgeschobenen Familie liege nicht nur darin begründet, weil die Familie sehr beliebt und hervorragend integriert in dem Stadtteil gewesen sei, sondern auch weil einige Ungereimtheiten im Raum stünden.

Am 7. Dezember erhält die Familie einen Gerichtsbeschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart, dass es dem Land Baden-Württemberg untersagt werde, „aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber den Antragstellern zu treffen“. Zu diesem Zeitpunkt hat das Regierungspräsidium Karlsruhe allerdings bereits einen Flug für die Familie gebucht – jenen Flug, der sie am 20. Dezember in den Kosovo abschieben soll. Der Gerichtsbeschluss des Stuttgarter Verwaltungsgerichts steht diesen Plänen entgegen. Er zielt darauf ab, dass für die Eltern eine Ausbildungsduldung geprüft werden soll. Beide haben zu diesem Zeitpunkt bereits einen Ausbildungsvertrag in Seniorenheimen unterschrieben; sie wollen Altenpfleger werden.

„Es ist für mich unverständlich“, sagt der zuständige Sozialarbeiter

Doch es kommt nicht mehr dazu, dass die beiden ihre Ausbildung antreten dürfen. Richter des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg entscheiden, dass der Beschluss aus Stuttgart geändert wird und die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt werden. So steht vier Tage vor Weihnachten um 8 Uhr morgens die Polizei vor der Tür, holt die Familie vom Frühstückstisch, die Kinder aus der Schule und bringt die Familie zum Flughafen.

Der Sozialarbeiter Lubotzki sagt: „Es ist für mich unverständlich, dass man nicht abgewartet hat, ob eine Ausbildungsduldung erfolgt.“ Denn falls diese Entscheidung negativ ausgegangen wäre, wären die Halitis sicherlich freiwillig ausgereist, sagt Lubotzki. Dann hätte sich die Abschiebung verhindern lassen. Doch so dürfen die Halitis vier Jahre lang nicht nach Deutschland einreisen. Generell sei die Familie perfekt integriert gewesen sowie sehr strukturiert. Jeder Termin wurde eingehalten, sagt Lubotzki. Die 13-jährige Tochter Aurona ging auf das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Sillenbuch, die jüngeren Geschwister zur Grundschule, der Jüngste in den Kindergarten. Die 35-jährige Mutter und der 41-jährige Vater hatten Arbeitgeber so weit von sich überzeugt, dass diese auf sie warten wollten, bis die Ausbildungsduldung erfolgt. „Die hätten es hier locker gepackt“, sagt der Sozialarbeiter und seufzt.

Das RP Karlsruhe sieht keine Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung gegeben

Ein Sprecher des Regierungspräsidiums Karlsruhe sagt auf Anfrage dieser Zeitung: „Es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nicht vorliegen, da es sich bei dem Ausbildungsvertrag von Adelina Imeri um keine qualifizierte Ausbildung handelt und bei Mehdi Haliti zum Zeitpunkt der Vorlage des Ausbildungsvertrages zu einer qualifizierten Ausbildung bereits aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet waren.“ Somit lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung in beiden Fällen nicht vor. Die Abschiebung sei rechtmäßig gewesen.

In Heumaden sind viele geschockt. „In unserem Haus türmen sich Säcke voller Geschenke“, sagt Mieke Piazza. Eigentlich hatte sie die Halitis zu Weihnachten zu sich eingeladen. Nun konnten die Geschenke nicht mehr übergeben werden, eine Verabschiedung war auch nicht möglich. Mehrere Heumadener wollen dies nun nachholen: Sie haben vor, in den kommenden Tagen in den Kosovo fahren und den Halitis die Geschenke sowie weitere notwendige Dinge zum Leben vorbeizubringen.