Literaturclubs sind öde, prätentiös und eher Cognac als Discoschorle? Weit gefehlt! Beim U35 im Literaturhaus geht’s unaufgeregt literarisch zur Sache – und auch mal in die Pinte.

Stuttgart – Dies ist für alle, die beim Lesen des Wortes „Literaturclub“ hier oben in der Dachzeile schon drauf und dran waren, das Weite zu suchen und sich das nächste süße Tiervideo reinzuziehen: Halt! Stopp! Dieser Literaturclub hat nichts mit einem stocksteifen Stuhlkreis zu tun, in dem mit zusammengekniffenen Lippen und kerzengerader Sitzhaltung über die Rolle der Frau in Virginia Woolfs frühen Werken debattiert wird. Er hat auch nichts mit einer überheblichen Runde alter Säcke zu tun, die genussvoll Populärliteratur zerreißen und sich in endlosem Dünkel für die intellektuelle Speerspitze des Landes halten. Nein, der Literaturclub U35 des Literaturhauses Stuttgart ist jung, locker und vollkommen leger. Außerdem trinkt er Bier.

 

Um Literatur geht es natürlich auch hier. Aber in einer, sagen wir, zeitgemäßen Form. Unter dem U35-Banner finden sich neben dem bereits sehr erfolgreich in Stuttgarter WGs etablierten Lesungsformat zwischen/miete auch die Reihen zwischen/lese und zwischen/stopp. Erstere behandelt in bester Buchclubmanier regelmäßig ein bestimmtes literarisches Werk, letztere versteht sich als Exkursion zu diversen Orten der Literatur: Kino, Messen, Archive, Freibad. Ja, Freibad! Wer Mitglied ist, bekommt zu vielen der Veranstaltungen freien Eintritt; das coole Gefühl, zu einem Club zu gehören, gibt es gratis dazu. Na gut, gegen eine jährliche Mitgliedergebühr von 20 Euro (Schüler/Studenten) und 60 Euro (alle anderen).

Jeder darf lesen

Elena Oehrlich, Mitglied der ersten Stunde und mit gerade mal 16 Jahren jüngste der Leseratten, leitet das Projekt mit Sandra Potsch. „Wir wollen literaturbegeisterten jungen Menschen die Gelegenheit bieten, sich über das Gelesene auszutauschen, miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam das kulturelle Angebot der Stadt kennen zu lernen“, fasst sie die Philosophie des Clubs kurz zusammen. „Und ich behaupte mal“, fügt sie an, „dass die steigenden Mitgliederzahlen und wunderbaren Bekanntschaften, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, dafür sprechen, dass das Konzept aufgeht.“ Dieses Konzept sagt klipp und klar: Niemand muss Literaturwissenschaftler sein, um sich über Bücher und Literatur unterhalten zu können. Und die bisherigen Abende haben gezeigt, dass es oftmals gerade die angeblich Außenstehenden sind, die der Diskussion interessante Impulse liefern.

Kiezkneipen

Das Programm stellt Gymnasiastin Oehrlich regelmäßig mit Potsch zusammen. Die ist 29 und arbeitet eigentlich in den Literaturmuseen am Deutschen Literaturarchiv in Marbach. „Nebenher bin ich aber auch schon seit einigen Jahren im Stuttgarter Literaturhaus eingebunden“, erzählt Potsch. „2015 durfte ich dort die Reihe U35 aufbauen und habe mich sehr gefreut, dass wir auf Anhieb eine tolle Truppe zusammen hatten, die das Angebot angenommen und weitergetragen hat.“ Vorschläge abgeben darf jeder, in so einem Club der treuen Leser herrscht natürlich eine gewisse Demokratie.

Deshalb wechseln Klassiker der Weltliteratur mit modernen Werken wie beispielsweise Heinz Strunks „Der goldene Handschuh“, eine unerreicht lakonische und aufwühlende Kiezstudie aus St. Paulis fiesesten Kaschemmen. Das Werk ist Thema der nächsten zwischen/lese am Montag, den 5. Februar. Passend dazu geht es am darauffolgenden Samstag, den 10. Februar, auf große Kneipentour durch Stuttgarts Kaschemmen. „Wir machen uns auf die Suche nach den schrägsten Kneipen Stuttgarts. Wir treffen uns um 19 Uhr am Marienplatz und ziehen von dort aus durch den Stuttgarter Süden bis nach Heslach.“

Ganz im Geiste von Heinz Strunk wird an diesem Abend mal eine ansonsten wenig beleuchtete Seite der Stadt untersucht und für die Literaturdiskussion geöffnet. „Statt Hochkultur diesmal also Kneipenkultur“, grinst Potsch. Dabei sein darf jeder, der Bier trinken will und darf, Treffpunkt ist um 19 Uhr am Marienplatz. Literatur, sie geht manchmal eben auch flüssig.

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