Es ist nie zu spät, an Stuttgarts NS-Vergangenheit zu erinnern, schreibt unser Kolumnist Peter Stolterfoht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Es ist Helmut Kohl gewesen, der all jenen etwas entgegengesetzt hat, die an Geschichte interessierte Menschen als ewig Gestrige ansehen. „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“ Mit diesem Wissen hat Kohl, dessen Bruder dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fiel, Geschichte studiert und ist in die Politik gegangen. Als Bundeskanzler war für ihn die Versöhnung mit Frankreich und das Zusammenwachsen Europas immer auch ein sehr persönliches Anliegen.

 

Einigen Stuttgartern wiederum ist es ein Anliegen, dass sich möglichst viele Bürger und Bürgerinnen der Geschichte der eigenen Stadt bewusst werden. Gerade auch im Hinblick auf das dunkelste Kapitel, die menschenverachtende nationalsozialistische Herrschaft zwischen 1933 und 1945. Eine ganz besondere Rolle spielt dabei die Erinnerungs- und Gedenkstätte Hotel Silber, die als einstiges Gestapo-Hauptquartier ein Sinnbild für den NS-Unrechtsstaat gewesen ist. Heute ist das Hotel Silber ein Sinnbild dafür, das mit großem, vor allem auch privatem Engagement ein großartiger Ort gegen die Geschichtsvergessenheit entstehen kann.

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Es gibt in Stuttgart mittlerweile viele Stellen, wo an Nazidiktatur und Rassenhass erinnert wird. Die weiterhin verlegten Stolpersteine vor den Häusern, in denen Stuttgarter Juden und Jüdinnen vor ihrer Deportation und Ermordung lebten, sind ein gutes Beispiel. Ebenso wie die Stuttgarter Justiz, die die eigene Unrechtsvergangenheit aufgearbeitet und zu einer Dauerausstellung im Landgericht werden ließ, wo auf Schautafeln über Täter und Opfer der NS-Gerichtsbarkeit informiert wird.

Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden

In diesem Zusammenhang haben neben Fernseh- und Hörfunksendungen Bücher eine große Bedeutung. Wie das 1964 im Ernst-Klett-Verlag erschienene „Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden“, ein Gedenkband , der heute nur noch auf antiquarischem Weg erhältlich ist. Die Autorin ist die 1999 verstorbene deutsch-tschechische Historikerin Maria Zelzer, die von 1961 an für das Stadtarchiv Stuttgart tätig war. Von ihr stammt auch das 1983 erschienene Buch „Stuttgart unterm Hakenkreuz“.

Um dieses Thema macht sich aktuell ganz besonders der Stuttgarter Schmetterling-Verlag verdient. Die von Hermann G. Abmayr herausgegebenen Porträts unter dem Buchtitel „Stuttgarter NS-Täter“ sind gerade erst in einer dritten erweiterten Auflage erschienen. Nach der Lektüre geht man mit anderen Augen durch die Stadt, wenn beispielsweise von Traditionsgeschäften die Rede ist, die unter damaliger Leitung von sogenannten Arisierungsmaßnahmen profitiert hatten. So konnten sich Stuttgarter Betriebe an einem neuen attraktiveren Standort vergrößern, nachdem die jüdischen Vorbesitzer zum Verkauf weit unter dem marktüblichen Preis gezwungen waren. Auch das Pressehaus leistet Beiträge gegen das Vergessen. Gerade auch mit dem als Magazin erschienen fotografischen Gemeinschaftsprojekt „Stuttgart 1942“.

Uns allen gilt das Motto: Wir sind nicht schuld an Taten vorheriger Generationen, wir tragen aber besondere Verantwortung, dass sich so etwas nicht wiederholt. Dazu muss die Erinnerung wach gehalten werden.