Mit dem Orchester der Kulturen bringt Komponist und Dirigent Adrian Werum Instrumente aus aller Welt zusammen. Nun hat er den Chor der Kulturen gegründet. Die Erkenntnis beim Probenbesuch: Es geht nicht nur ums Singen.

Stuttgart - In Daunenjacke steht Mohammad Habbal am Mittwochabend in der Martinskirche am Pragfriedhof. Als das Piano einsetzt erhebt er seine Stimme und beginnt mit den Händen in den Hosentaschen einen Teil der irakischen Nationalhymne Mautini zu singen. Kurz darauf muss er unterbrechen. Seine Stimme macht nicht richtig mit. Nachdem eine andere Sängerin ihm ein Bonbon gereicht hat, setzt er sein eindrucksvolles Solo fort, bis die restlichen Sänger beim Refrain miteinsteigen.

 

Götterfunke kreuzt Nationalhymne

„Mohammad ist nicht nur hier um zu singen, sondern auch um neue Leute zu treffen und die deutsche Sprache zu lernen“, übersetzt Abdulah Halawani. Halawani ist ein Freund von Habbal und begleitet ihn an diesem Abend. „Die deutsche Sprache ist noch ein bisschen schwer für ihn“, fügt er hinzu. Habbal ist Syrer, vor anderthalb Jahren nach Deutschland geflüchtet. Seit dem 25. Dezember 2015 lebt er in Stuttgart, seit kurzem in einer eigenen Wohnung in Bad Cannstatt.

In seiner Heimatstadt Damaskus hat er als Sänger gearbeitet und arabischen Folklore gesungen. In Stuttgart muss er noch ein halbes Jahr den Integrationskurs besuchen, bis er sich eine Arbeit suchen kann. Singen tut er aber schon jetzt. Zum Beispiel im Chor der Kulturen, der vor wenigen Wochen von Komponist und Dirigent Adrian Werum gegründet wurde und an diesem Abend das vierte Mal probt.

„Mautini ist ein gutes Beispiel für die Stücke, die wir hier singen wollen“, sagt Werum. Es sind Stücke, die von Werum und dem Komponisten Christian Mejia aus Ecuador eigens für den Chor geschrieben oder umgeschrieben werden. Gesungen wird nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf vielen anderen Sprachen wie Spanisch oder eben Arabisch. So wurde aus der irakischen Nationalhymne und Beethovens „Freude, schöner Götterfunken“ ein neues Stück. „Einen Teil des Liedes singen wir auf Arabisch, den anderen Teil auf Deutsch“, fügt Werum hinzu.

Werum hat 2010 bereits das Orchester der Kulturen gegründet, dem eine ähnliche Idee zugrunde liegt: eine Begegnung aller Kulturen dieser Welt auf Augenhöhe. Die Idee für den Chor kam ihm im vergangenen Jahr: „Im letzten Herbst habe ich einen Chor übernommen, der aber schon ein festes Repertoire hatte. Deshalb wollte ich einen neuen Chor gründen, mit dem ich kulturell einen größeren Bogen schlagen kann.“

Ein Tonstudio in Damaskus

Obwohl der Chor gewissermaßen noch am Anfang steht, hat sich bereits ein fester Stamm von 15 bis 20 Teilnehmern gebildet – die meisten von ihnen Frauen. Eine von ihnen ist Karen Zoeppritz-Karle: „Mir gefällt die Idee, die Kulturen zusammenzubringen.“ Einer der drei männlichen Teilnehmer, die an diesem Abend zur Probe gekommen sind, ist Firaz Ahmad. Der 37-Jährige ist ebenfalls aus seiner Heimat Syrien geflüchtet. „Ich lebe seit einem Jahr und sieben Monaten in Stuttgart“, sagt er in gebrochenem Deutsch. Mit seiner Frau und den vier Kindern im Alter zwischen einem und elf Jahren bewohnt er ein Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft an der Forststraße im Stuttgarter Westen. „In Damaskus hatte ich ein Tonstudio“, erzählt er. Im vergangenen Jahr hat Firaz Ahmad bereits den Solitude Chor bei Auftritten als Tontechniker unterstützen können. Auch an diesem Abend wird er nicht singen. Während Werum bei der Probe das Piano spielt, begleitet Firaz die Sänger mit Percussions. Er und Werum kennen sich bereits von früheren Projekten.

So ergeht es einigen der Teilnehmer, die nicht nur aus Deutschland und Syrien, sondern auch aus Peru und Ecuador kommen. „Wir hoffen, dass sich noch viele weitere Sänger melden. Unsere Ziele sind klar, die ersten Auftrittsanfragen haben wir nämlich schon“, sagt Werum. In wenigen Monaten singt der Chor zum Beispiel beim Caritas-Sommerfest und bei einer Veranstaltung im Rahmen des Sommerfests der Kulturen.

Außerdem hat Adrian Werum nun auch noch eine spirituelle Stunde der Kulturen initiiert. Sie soll von 2. Juni an jeden ersten Sonntag im Monat abgehalten werden. Hier sollen Menschen aller Glaubensrichtungen sowie Atheisten und Agnostiker zusammenfinden können.