Weil er kein Hartz IV bekommen sollte, ist ein Mann im Nürtinger Jobcenter mit einem Hammer auf einen Mitarbeiter losgegangen. Jetzt steht er wegen Mordversuchs vor Gericht.

Stuttgart/Nürtingen - Ich wollte ihn umbringen. Jetzt könnt ihr die Polizei rufen.“ Das soll ein heute 33-jähriger Mann gesagt haben, nachdem er einen Mitarbeiter im Jobcenter Nürtingen mit einem Hammer attackiert hatte. Jetzt steht der 33-Jährige vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart. Oberstaatsanwalt Matthias Schweitzer wirft dem Angeklagten versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor.

 

Der Nürtinger auf der Anklagebank ist offenbar nicht wiederzuerkennen. Eine Mitarbeiterin des Jobcenters, die mit ihm kurz vor der Tat ein Gespräch geführt hatte, zeigt sich verwundert. „Als er bei mir saß, hatte er lange Haare, einen ungepflegten Vollbart und er sah verwahrlost aus“, sagt sie im Zeugenstand. Der Mann habe schlecht gerochen, habe sich ständig gekratzt, sei nervös und irgendwie völlig durch den Wind gewesen. „Er kam mir verzweifelt vor“, so die Zeugin. Jetzt sieht sie einen schlanken, gut frisierten Mann in dunklem Pulli auf der Anklagebank sitzen.

Das Opfer leidet unter psychischen Problemen

Dieser Mann, oder besser, der Mann im damaligen Zustand, stürmte am 13. November vorigen Jahres gegen 8.20 Uhr in ein Büro im Jobcenter Nürtingen. In der hocherhobenen rechten Hand hatte er einen 440 Gramm schweren Hammer, mit dem er auf den Kopf eines 46-jährigen Jobcentermitarbeiters zielte. Der 46-Jährige, der gerade im Gespräch mit einem Kunden war, bekam das Handgelenk des Angreifers zu fassen und konnte so den Schlag abwenden. Er wurde nur leicht verletzt. Der Täter ließ den Hammer fallen, dann fiel besagter Satz: „Ich wollte ihn umbringen!“

Das Opfer war danach einige Zeit arbeitsunfähig und leidet bis heute unter psychischen Problemen.

Der offenbar kontaktarme Angeklagte hatte 2017 einen Antrag auf Hartz IV gestellt. Zwar hat er die Mittlere Reife geschafft, war dann aber ohne Ausbildung geblieben. Damals stieß er im Jobcenter auf sein späteres Opfer. Der Arbeitsvermittler hatte den Antrag abgelehnt, weil der Mann wichtige Unterlagen nicht beibrachte und weil er nicht bereit war, Jobangebote anzunehmen.

Der 33-Jährige, der bei seiner Mutter lebt, ließ es vorerst dabei bewenden. Doch zuhause sah er sich den Forderungen des inzwischen gestorbenen Vaters und der Mutter ausgesetzt, er solle sich um Ausbildung oder Arbeit bemühen. Das wollte er aber nicht. „Ich habe mehr in meinem Kopf als in der realen Welt gelebt“, so der Angeklagte, der die Hammerattacke gestanden hat.

Er sagt, im Gefängnis gehe es ihm gut

Als ihm die Mutter jedoch kein Geld mehr zusteckte und er nur noch Kost und Logis frei hatte, nahm der Druck zu. Er stellte im September 2019 einen erneuten Antrag auf Sozialleistungen und kam zum Gespräch zu der Mitarbeiterin, die am ersten Prozesstag als Zeugin ausgesagt hat. Er habe gesagt, er finde ohnehin keine Arbeit, die ihm auch noch Spaß mache. Außerdem wollte er nicht zu ihrem 46-jährigen Kollegen, der aber für ihn zuständig war. Als der 33-Jährige schließlich einen erneuten Ablehnungsbescheid bekam, wuchs die Verzweiflung.

Er schnappte sich den Hammer und fuhr zum Jobcenter. „Ich wollte den Mitarbeiter ausrauben, damit ich ins Gefängnis komme“, sagt der Angeklagte vor Gericht. Er gibt zu, auf den Kopf des 46-Jährigen, den er für die Ablehnung seines Antrags verantwortlich machte, gezielt zu haben. Danach ließ er sich widerstandslos festnehmen. „Ich hatte erreicht, was ich wollte“, sagt er.

Im Gefängnis gehe es ihm gut, er könne sich nicht beschweren. Dort müsse er keinen Hunger fürchten. Auf die Frage, was er mit seinem Leben anfangen wolle, sagt er unter Tränen: „Das weiß ich bis heute nicht.“ Der Prozess wird fortgesetzt.