Klassenzimmer, Sportvereine oder Büros sind Orte, an denen Personen oft lebenslange Freundschaften schließen. Die Geschichte, die sich hinter dem Verein „HHW“ verbirgt, beginnt dagegen in einem Krankenhaus.

Rotenberg - Schon eine Weile äugt der junge Mann fragend in Richtung der vierköpfigen Männergruppe, die an diesem Freitagabend nicht nur durch ihre ausgelassene Stimmung, sondern auch durch ihr Outfit mit bedrucktem Poloshirt und Kappe die Blicke der Kneipenbesucher in „Duke’s Bar“ in Esslingen auf sich zieht. Trotzdem vergehen weitere Minuten, bis er sich ein Herz fasst und an den Tisch tritt. „Seid Ihr ein Junggesellenabschied oder so was?“, will er wissen.

 

Es ist die ungewöhnliche Geschichte einer jahrzehntelangen Freundschaft, die ihm die vier Männer als Antwort erzählen könnten. Und diese Geschichte beginnt nicht wie so oft in einem Klassenzimmer, im Sportverein oder am Arbeitsplatz. Nein, sie beginnt in einem Krankenhaus. Im Oktober 1985 hat Helmut Vogt aus Rohracker einen Termin für eine Nasenoperation in Ruit. Wenige Tage zuvor erreicht ihn ein Anruf aus der Klinik: Die HNO-Abteilung sei in den Herbstferien eigentlich Schülern vorbehalten, die an den Mandeln operiert werden. „Man erklärte uns, dass wir nur in der Woche behandelt werden könnten, wenn wir bereit seien, in einem Drei-Bett-Zimmer zu schlafen.“ Vogt ist dazu bereit. Und auch Wolfgang Lüneberg aus Esslingen und Helmut Haberern aus Weil der Stadt verzichten gern auf die Annehmlichkeiten des Doppelzimmers.

Zusammengewürfelte Zimmergenossen

Die zusammengewürfelten Zimmergenossen sind sich vom ersten Blick an sympathisch. Lustige Tage beginnen – auch für die Krankenschwestern, die sich gern vor ihren quengelnden Patienten in den Raum „flüchten“ und die Ruhe genießen. Im Gegenzug wird bei dem Trio ein Auge zugedrückt. „Einmal hat uns meine Frau zu später Stunde noch eine Flasche Wein vorbeigebracht“, erinnert sich Lüneberg.

Aber auch der schönste Krankenhausaufenthalt ist irgendwann zu Ende. Eine Woche später sehen sich die drei Männer bei der Nachuntersuchung wieder. Die Freude über das Wiedersehen ist so groß, dass sie beschließen, sich von nun an regelmäßig zu treffen. Und das tun sie dann auch. Vier Termine im Jahr sind „Pflicht“: Im Januar geht es in eine Besenwirtschaft in den Oberen Neckarvororten, im April ziehen sie bei der Kneipentour durch die Esslinger Altstadt, im Juli lockt der Hamburger Fischmarkt auf dem Karlsplatz und im September oder Oktober steht ein Besuch des Volksfestes an.

Im Oktober 2003 sitzen die Freunde im Gasthaus Ochsen-Willi in Stuttgart und beschließen, dass die Zeit reif sei, einen Verein zu gründen. Ein Name ist schnell gefunden: HHW n.n.e.V. Hinter dem sperrigen Kürzel verbergen sich die Anfangsbuchstaben der Vornamen Helmut, Helmut und Wolfgang, der Rest steht für „noch nicht eingetragener Verein“. Der frühere Polizist Lüneberg wird zum Präsidenten gewählt, Haberern aufgrund seines Jobs bei der Landesbank zum Kassierer ernannt und der damalige Daimler-Mitarbeiter Vogt als Schriftführer ausersehen.

Vereinszeitung mit 18 Exemplaren

Die Treffen werden protokolliert, in unregelmäßigen Abständen erscheint eine Vereinszeitung, deren Auflage bei 18 Exemplaren liegt. Pro Monat sind zehn Euro in die Vereinskasse zu entrichten. Bei den Treffen werden vor Ort zudem weitere 20 Euro fällig – Geld, das alle fünf Jahre für mehrtägige Städtereisen verwendet wird. Zum 35-jährigen Jubiläum ist 2020 eine Tour nach Leipzig geplant.

Aber es ist nicht nur derselbe Humor, der die Mitt-Sechziger seit der ersten Begegnung verbindet, sondern auch das gegenseitige Vertrauen. Gesprochen wird über alles – über die Familie, über die Arbeit, über das ein oder andere Zipperlein. 2005 wird aus dem Trio ein Quartett: Dirk Füchsle, ein früherer Kollege Lünebergs, ist von dem Verein so begeistert, dass er sich um eine Mitgliedschaft bewirbt. Und siehe da: Der heute 46-Jährige wird aufgenommen und als Revisor vereidigt.

Jedes Jahr im Januar werden seit 2004 Wahlen abgehalten, immer skurrilere Pöstchen kommen im Lauf der Zeit hinzu. So gibt es in dem Verein mittlerweile einen Frauen-, Gleichstellungs-, Hygienebeauftragten, einen Stiftungsmittelverwendungsbeauftragten, einen Betriebsratsvorsitzenden und einen stellvertretenden Jugendleiter mit Arabisch-Grundkenntnissen in Wort und Schrift.

Zusammenstoß mit einem Fass

Eine eigene Währung wird entworfen, eine eigene Versicherungstochter – die „HHW-Assekuranz“ – gegründet, nachdem sich Wolfgang Lüneberg bei einem Abstecher in den Irish Pub in Stuttgart die Jeans zerrissen hat. Auch dieser Vorfall wird im vereinseigenen Info-Brief für die Leserschar genau dokumentiert: „Unmittelbar nach Betreten des Gastraumes wurde der Präsident von einem hölzernen Bierfass angerempelt, welches mittels eines hervorstehenden Nagels seine unkaputtbare Hose beschädigte.“ Eine Runde Whiskey und Dunkelbier werden als Schadensersatz mit dem Wirt ausgehandelt. „In jedem Mann steckt halt auch ein Kind“, entschuldigt sich Lüneberg augenzwinkernd.

Es sind Begebenheiten wie diese, die die vier Freunde dem jungen Mann in der Esslinger Kneipe zuhauf erzählen könnten – nur ob dafür ein Abend ausreichen wird, darf bezweifelt werden.