Am 30. April beginnen in Baden-Württemberg die Abiturprüfungen. Zum ersten Mal schreiben dabei auch Schüler der Waldorfschule Silberwald mit. Die Schule in Stuttgart-Sillenbuch wurde vor 13 Jahren gegründet – und die einstigen Pionier-Erstklässler verabschieden sich nun bald.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Sillenbuch - Zigtausende Schüler in Baden-Württemberg müssen sich am Dienstag, 30. April, zwischen einer Gedicht- oder einer Prosainterpretation, einem Werkvergleich, einem Essay und einer Erörterung entscheiden. Morgen steht das Deutsch-Abitur an, die erste der für alle Abiturienten verpflichtenden schriftlichen Prüfungen. Während die meisten Gymnasien für die Prüfungen ihre Aula oder Sporthalle blockieren, ist das an der Waldorfschule Silberwald nicht nötig. Lediglich neun junge Menschen treten an; die Prüfungen werden in einem normalen Klassenzimmer geschrieben.

 

Dass nur so wenige Sillenbucher Waldorfschüler Abitur schreiben, hat nichts mit Unvermögen zu tun. Vielmehr ist dieser Jahrgang der erste, der dort Abitur schreibt. Im Jahr 2006 wurde die Waldorfschule gegründet – und nun, 13 Jahre später, verabschieden sich die ersten Abiturienten zum Schuljahresende.

Vorbilder hatten die Schüler keine

Benedict Fadani, Nicklas Nusser und Aruna Wagner-Peissenberg gehören zu den Pionieren; sie sind seit der ersten Klasse an der Schule. „Das ist schon eine besondere Situation, nun Abi zu schreiben. Alle schauen auf einen, weil man gewissermaßen einen Meilenstein setzt“, sagt Nicklas Nusser. Benedict Fadani ergänzt: „Unter Druck stehen natürlich alle Abiturienten. Aber bei uns kommt dazu, dass wir keine Vorbilder haben.“ Wenn sie in den vergangenen Jahren den Rat älterer Schüler brauchten, mussten sie Bekannte an anderen Schulen fragen. An der Waldorfschule Silberwald waren sie immer die Ältesten.

Hin und wieder sei der Status als Pionierklasse anstrengend gewesen, gibt Nicklas Nusser zu: „Wir waren Versuchskaninchen. Manchmal wurde etwas mit uns ausprobiert, das in den darauffolgenden Jahren dann anders gemacht wurde.“ Nicht nur die Schüler, auch die Lehrer mussten sich alles selbst erarbeiten: Arbeitsblätter, Schulmaterialien und Geräte wurden sukzessive erstellt und angeschafft. „Manchmal hat man gemerkt, dass auch die Lehrer unsicher sind“, sagt Aruna Wagner-Peissenberg. „Aber bei uns galt immer: Wir stehen das gemeinsam durch.“

Nie das Gefühl, falsch zu sein

Insgesamt seien die drei 19-Jährigen aber durchweg froh, an der Waldorfschule gewesen zu sein: „Bei uns hat immer ein sehr angenehmes Klima geherrscht“, meint Benedict Fadani. Und Aruna Wagner-Peissenberg ergänzt: „Ich hatte nie das Gefühl, hier falsch zu sein.“ Dem Lehrer Hagen Henning ist außerdem aufgefallen, dass die Schüler in der Pionierklasse über eine besonders stark ausgeprägte Sozialkompetenz verfügen und auch fachlich auf einem sehr hohen Stand sind. „Das haben mir externe Lehrer und Prüfer bestätigt, die bei uns zu Gast waren“, sagt er.

Was manche nicht wissen: Waldorfschüler schreiben das gleiche Abitur wie Schüler an staatlichen Schulen. Bei den Sillenbuchern gibt es jedoch Besonderheiten. So zählen bei ihnen – im Gegensatz zu den Schülern an Gymnasien – nicht alle Noten aus den letzten beiden Schuljahren in den finalen Abiturschnitt, sondern tatsächlich nur die Abiturprüfungen. Dazu gehören an der Waldorfschule Silberwald die vier schriftlichen Abiturprüfungen, vier mündliche Prüfungen, eine Kommunikationsprüfung in Englisch sowie zwei Hospitationsprüfungen in Biologie und Chemie.

Kein pompöser Abiball

Aufgrund der kleinen Anzahl an Abiturienten läuft an der Sillenbucher Waldorfschule auch nach den Prüfungen manches anders. Einen pompösen Abiball gibt es nicht, stattdessen eine Feier an der Schule, bei der die Zeugnisse übergeben werden, und zu der alle eingeladen sind, die im Laufe der Zeit in der Pionierklasse zu Gast waren. „Wir hatten relativ viele Wechsel. Als wir in der ersten Klasse anfingen, waren wir 23 Schüler. In der achten Klasse waren wir dann sogar 31 Schüler – und jetzt sind neun übrig geblieben, die Abitur schreiben“, so Aruna Wagner-Peissenberg.

Einige hätten sich für den Realschulabschluss entschieden. In Waldorfschulen müssen Schüler erst in der elften Klasse festlegen, welchen Abschluss sie machen. Doch die neun Schüler, die ab dem 30. April Abitur schreiben, waren alle von der ersten Klasse an dabei.

Manche Dinge sind übrigens bei den Sillenbucher Waldorfschülern genau gleich wie bei allen anderen Abiturienten: Nachdem alle Prüfungen geschrieben sind, steht im Juli eine Abifahrt nach Kroatien an. Und die Schüler haben einen gewissen Bammel vor der Zeit nach der Schule: „Wir Neun waren seit der ersten Klasse immer zusammen. Es wird komisch, wenn wir uns nicht mehr jeden Tag sehen“, sagt Aruna Wagner-Peissenberg. Und Benedict Wagner meint: „Wir sind in den letzten 13 Jahren zu einer Art Großfamilie geworden.“