Annette Jickeli aus Riedenberg engagiert sich seit Jahren über die Organisation Foodsharing dafür, dass Essbares nicht weggeworfen wird – unentgeltlich und aus purem Idealismus. Im Bezirk hat sie schon vieles angestoßen.

Sillenbuch - Auf Annette Jickelis Balkontisch türmen sich Joghurtbecher neben Brotlaiben. Eine Kiste ist randvoll mit Gemüse: Salat, Tomaten, Süßkartoffeln, Zucchini – massenhaft. Annette Jickeli lacht auf. „Das ist nur ein Viertel.“ Ein Viertel dessen, was sie um 8 Uhr bei einem Laden in Sillenbuch abgeholt hat. Wäre sie nicht gekommen, wäre alles im Müll gelandet, weil sich die Waren nicht mehr verkaufen lassen, obwohl sie noch genießbar sind. Die Paprika ist leicht schrumpelig, der Mangold wirkt schlapp, „aber wenn ich den ins Wasser lege, ist der wie neu“, sagt Annette Jickeli. Die Riedenbergerin engagiert sich für die Organisation Foodsharing. Das Prinzip: Freiwillige holen aussortiertes Essen bei Märkten oder Erzeugern ab und verteilen es weiter, um der Verschwendung entgegenzuwirken. An diesem Tag verstecken sich in der Kiste Dinge, die jüngst noch als Schätze galten: Mehl, „und heute war auch frische Hefe dabei“, sagt Annette Jickeli.

 

Vor mehr als fünf Jahren sind sie und ihr Mann bei Foodsharing eingestiegen, „da war die Zahl in Stuttgart noch zweistellig“. Heute machen in der Stadt 2100 Menschen mit. Annette Jickeli gehört zur Gruppe von sieben Foodsharing-Botschaftern. Sie richtet Veranstaltungen aus, macht Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, pflegt das Postfach, begleitet Neulinge zu Testabholungen. Auch am Aufbau einer Whatsapp-Gruppe für Sillenbuch und Umgebung, in der sich Lebensmittelretter austauschen, an Kochtreffs oder dem Bau des Fair-Teilers am Gosheimer Weg war sie maßgeblich beteiligt. In der Hütte werden Waren abgelegt, jeder kann sich bedienen. Viele wollen, manche müssen. „In der Corona-Zeit warten die Leute schon drauf, dass wir kommen. Die sind sehr, sehr dankbar.“

Bei der Familie kommt auf den Tisch, was gerettet wurde

An die Essensberge, die sie bei den Abholungen mehrmals die Woche vorfindet, hat sie sich noch nicht gewöhnt. „Wenn da drei Kisten Brot stehen, das ist schon schockierend.“ Verschwendung ist Jickeli zuwider. Schon in der Jugend habe sie ein Umweltbewusstsein entwickelt. Sie hockt im Schneidersitz auf einem Sessel, strubbelt sich durchs kurze Haar. „Letztendlich haben wir genug, um die ganze Weltbevölkerung ernähren zu können. Doch nur wir sind so verrückt, dass wir denken, es muss immer alles bis abends beim Bäcker im Brotregal vorrätig sein“, sagt sie. In der Riedenberger Familie hat das Umdenken längst stattgefunden. „Wir essen komplett anders. Es gibt das, was wir retten.“ Die vierfache Mutter spricht von Wertschätzung. „Es wurde alles ausgesät, es wurden viel Zeit und Wasser investiert. Da kann das doch nicht in den Müll.“

Annette Jickeli sortiert die Fuhren stets bereits vor Ort. Einiges ging heute schon an eine Kollegin, die weiterverteilt, einiges in den Fair-Teiler. Aus dem Rest schnürt die 56-Jährige weitere Pakete. Viel Gemüse geht an ein arbeitsloses Paar mit Baby, anderes an eine Demenz-WG in Ostfildern. Das alles macht Annette Jickeli ehrenamtlich neben dem Beruf. Unter anderem arbeitet sie als Trainerin für gewaltfreie Kommunikation. „Manchmal ist es viel“, bekennt sie. Umso wichtiger sei es, dass viele mitmachten. Jeder könne einen Beitrag leisten, dass weniger produziert werde. Sie zitiert lächelnd ein Sprichwort: „Was für den einen ist zu viel, ist für drei ein Kinderspiel.“