In der Adlerstraße sollen knapp 60 Wohnungen und eine Anlaufstelle für Drogenabhängige entstehen. Die Bezirksbeiräte wünschen eine informelle Bürgerbeteiligung zu diesem Projekt der Caritas.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-Süd - Einen Neubau mit 52 Wohnungen für ältere Menschen sowie sechs Wohnungen für Familien plant Corpus Sireo im Süden. Der Immobiliendienstleister will dafür in der Adlerstraße, oberhalb der Postfiliale Böblinger Straße, einen Neubau errichten, der zugleich das Quartier verschönern soll. Heute steht hier ein leerer Gebäudetrakt, den die Post früher für ihre Paketabfertigung benötigte.

 

Diesen Teil der Neuigkeit nahm der Bezirksbeirat Süd fraktionsübergreifend positiv auf. Geteilter Ansicht war das Gremium über den „dritten Baustein“, die ambulante Suchtberatung, die ebenfalls einziehen soll. Auf zwei Etagen wolle man hier die Angebote für Drogenkranke bündeln, erläuterte Klaus Obert von der Caritas, der künftigen Trägerin und Mieterin des gesamten neuen Gebäudekomplexes.

Nachbarschaft im Boot

Die Adlerstraße solle Substitutionsambulanz, Kontakt-, Anlauf- und Beratungsstelle sein und langfristig das High-Noon im Leonhardsviertel ersetzen. Abhängige sollen hier nicht bloß ihr Methadon einnehmen, sondern auch einen Mittagstisch erhalten und Beratung finden. Diese Bündelung würde den Kontakt zwischen den Klienten und den Betreuenden intensivieren. Auch die Zusammenarbeit der Fachkräfte untereinander würde optimiert, zudem eine permanente Erreichbarkeit gewährleistet. Es käme mehr Kontinuität in die Beziehungen, erläuterte Obert. Im übrigen rechne man mit 30 bis 50 Ratsuchenden am Tag.

Dass eine Einrichtung für Drogenkranke nicht nur auf Begeisterung stößt, war dem Mann von der Caritas und Markus Schröder von Corpus Sireo klar. Sie hatten Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) als Gewährsmann mit in die Sitzung gebracht, und versuchten, Kritikern vorweg einigen Wind aus den Segeln zu nehmen: Man werde Nachbarn, Schulen, Polizei, Beratungsstellen und Mobile Jugendarbeit mit ins Boot holen. Hier mache sich die Jahrzehnte lange Erfahrung der Caritas mit Substitutionsarbeit bezahlt, versicherte Klaus Obert: „Wir arbeiten mit dem Sozialraum. Und wir fühlen uns verantwortlich für die Entwicklung im Quartier.“

Bedröhnten Zombies?

Volle Zustimmung für das Projekt kam von den Grünen im Bezirksbeirat. Ansonsten hagelte es Kritik. Zweifel wurden nicht nur im konservativen Lager laut. Die Jugendrat-Sprecherin Jana-Pascal Bode befürchtet, dass die Schüler der nahe gelegenen Schulen zum Drogenkonsum verführt werden und, dass die Abhängigen den Jugendlichen ihre Plätze bei den Schulen streitig machen könnten: „Uns ist wichtig, dass diese Treffpunkte weiterhin von Jugendlichen wahrgenommen werden.“ Auch der Schulleiter der Schickardt-Schulen, Richard Haag, äußerte sich skeptisch über die künftige Nachbarschaft seiner Schule zu einer Suchtberatungsstelle.

Ironisch zugespitzt doch in der Sache ernst, fragte Jens Hermann von den Stadtisten: „Müssen wir jetzt mit lauter bedröhnten Zombies im Bezirk rechnen?“ Auch Wolf-Dieter Wieland (FDP) skizzierte Düsteres: „Man lockt mit der Einrichtung die Leute erst in den Bezirk. Man sollte sie aber da abholen, wo sie sind: im Leonhardsviertel“. Dort befinde sich das High-Noon-Café der Caritas ja auch zurecht.

Soziale Mischung fehlt

Nicht gegen die Drogenabhängigen selbst, wohl aber gegen deren miese soziale Aura argumentierte CDU-Bezirksbeirat Zekeriya Aktas: Die Gegend um die Böblinger Straße sei ohnehin eine „Schmuddelecke“. Eine Einrichtung für Süchtige würde sie weiter runterziehen. „Die soziale Mischung fehlt da!“ Bezirksvorsteher Raiko Grieb konnte statistisch untermauern, dass die Gegend eher sozial schwach ist.

Bürgermeister Wölfle fand solche Vorstellungen klischeehaft: „Die Drogenszene ist vielfältig und verstreut. Diejenigen, die eine Beratung aufsuchen, sind im Hilfesystem. Es entspricht nicht ihrer Lebenswirklichkeit, dass sie eine Spritze abholen und sich in einer dunklen Ecke einen Schuss setzen.“ Die illegale, schmutzige Drogenszene sei wo anders zu Haus: „In und um unseren ÖPNV. Und das sind die, die unsere Angebote nicht wahrnehmen.“ Im übrigen, so Wölfle, könne der Bezirk froh sein, dass der Investor Corpus Sireo dort nagelneue Wohnungen hinstelle und sich ein verlässlicher sozialer Träger darum kümmere. Die Zweifel der Bezirksbeiräte konnte Wölfle dennoch nicht besänftigen.

Der Vorschlag von CDU-Bezirksbeirat Roland Petri, eine informelle Bürgerbeteiligung zum Thema zu veranlassen, war deshalb bei allen willkommen. Das Gremium beschloss einstimmig, dem Gemeinderat eine informelle Bürgerbeteiligung zu dem Caritas-Projekt zu empfehlen.