Es war einmal eine Sportstadt. Sie richtete ziemlich viele Titelkämpfe aus, heutzutage schaut sie meistens zu. Und möchte doch wieder mitspielen. Stuttgart kann sich vorstellen, sich für die European Championships 2022 zu bewerben.

Stuttgart - Die Phantomschmerzen tauchen regelmäßig auf. Wenn man sich anderswo am Springen, Werfen und Rennen begeistert, schwärt in Stuttgart die Wunde. So war es 2009 nach der Leichtathletik-WM in Berlin, so ist es nun wieder nach der EM am selben Ort. Die Ränge voll, die Athleten begeistert, die Zuschauer im Stadion und am Fernseher aus dem Häuschen. Hach ja, schön war’s, seufzt man, und erinnert sich an die EM 1986 und die WM 1993 in Stuttgart. Dann kratzt man sich noch ein bisschen, ehe man merkt: Wir haben ja keine Laufbahn mehr. Rausgerissen anno 2008, als man das Stadion in eine Fußballarena umbaute.

 

Verschiedene Städte bekunden Interesse

Doch heuer war die Leichtathletik-EM nicht nur eine Europameisterschaft, sondern Teil der sogenannten European Championships. Die Ruderer, Leichtathleten, Schwimmer, Radler, Turner, Triathleten und Golfer suchten in zehn Tagen im August in Glasgow und Berlin ihre Europameister. Erstmals zur gleichen Zeit, und erstmals kompakt vermarktet. Was vor allem im Fernsehen prima funktionierte. Die Einschaltquoten waren gut, fast fünf Millionen schauten bei den Leichtathleten zu, 1,5 Millionen waren es etwa bei den Schwimmern. Also waren alle begeistert, vorneweg die Funktionäre: 2022 möchte man die Sammel-EM gerne wiederholen, möglichst an einem Ort. Prompt meldeten sich die ersten Städte und bekundeten Interesse. In Berlin gebe es eine „positive Tendenz“. In Hamburg will man sich mit „dem Format auseinandersetzen“, und Nordrhein-Westfalen will sich gleich mit mehreren Städten bemühen.

Nun gibt es weder in Hamburg noch im Ruhrpott ein taugliches Stadion mit Laufbahn, da dachte man sich in Stuttgart: Das scheint kein Hindernis zu sein, also strecken wir auch mal den Finger. Sportamtschef Günther Kuhnigk: „Als alleiniger Standort können wir das natürlich nicht stemmen, aber im Verbund mit anderen Städten ist das eine interessante Sache.“ Wenn er eines im Umgang mit Sportverbänden gelernt hat, dann dies: „Man soll nie nie sagen.“ Wenn sich eine Möglichkeit ergebe, einzelne Sportarten der European Championships auszurichten, stehe man bereit und werde Gelegenheiten nutzen, die sich auftun.

Auch eine Schwimmhalle gibt es nicht

Doch was könnte man denn hier überhaupt ausrichten? Die Leichtathletik nicht, eine international taugliche Schwimmhalle gibt es auch nicht. Auch das neue Sportbad in Bad Cannstatt wird mit seinen 900 Zuschauerplätzen den Anforderungen der Verbände nicht genügen. Wobei man in Berlin 2014 für die damalige EM mangels geeigneten Bades das Velodrom geflutet hat. Beim Radeln sieht es schon besser aus, am 26. August endet die Deutschland-Tour mitten in der Stadt, die Hügel der Stadt taugen für Straßenradrennen. Eine BMX-Strecke gibt es, die Radbahn in der Schleyerhalle ist überbaut, ließe sich, aber, so Kuhnigk, wieder freilegen. Golfen ließe sich auf der Solitude, Triathlon wollte man im Bewerbungsplan für Olympia 2012 am Max-Eyth-See austragen, das wäre problemlos möglich. Für die Ruderer eine Strecke zu finden, ist allerdings schwierig. Für Olympia 2012 wollte man nach Ludwigshafen ausweichen. Nicht verstecken muss man sich mit dem Duo Schleyerhalle und Porsche-Arena, die Turner fühlen sich ja dort so wohl, dass sie mit der WM 2019 nach Stuttgart kommen. Was die Stadt drei Millionen Euro koste, so Kuhnigk.

Seid glücklich und rückt die Kohle raus!

Wer Sportstadt sein will, muss sich das was kosten lassen. Wie sagte doch der Chef des Leichtathletik-Weltverbandes Primo Nebiolo so schön, als die Stadt fragte, wer nun die gestiegenen Kosten für die WM 93 trage: „Be happy and pay the Deficit!“ – Freut Euch und zahlt die Kohle! Drei Millionen Euro waren es am Ende. Und auch wenn das einen Schwaben schmerzt, schön war es halt. Und trotz des vielen Geldes, manchmal plagen sie einen trotzdem, die Phantomschmerzen.