Die Proteste im Iran und deren blutige Niederschlagung treiben auch die Menschen bei uns um. Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit iranischem Hintergrund schildern ihre Einschätzungen und Hoffnungen für das Land.

Kultur: Kathrin Waldow (kaw)

Florence Shirazi wirkt sichtlich aufgewühlt, wenn sie über die aktuelle Situation im Iran spricht. Ihre Augen werden feucht, die Wut ist ihr anzusehen, mit Händen und Armen unterstreicht sie ihre Meinung. „Jetzt ist die Veränderung zum Greifen nah - aber verbunden mit viel Blutvergießen“, sagt die 50-jährige Stuttgarter Modelabelinhaberin.

 

Laut Nachrichtenagenturen sind bei den Protesten im Iran seit September mindestens 470 Demonstranten, darunter auch Kinder, getötet und rund 18 000 Menschen verhaftet worden. Auslöser ist der Tod der jungen Frau Jina Mahsa Amini. Sie starb am 16. September in Teheran in Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verhaftet worden war. Seitdem sind auch in Stuttgart zahlreiche Demonstrationen für Frauenrechte und eine Neuaufstellung des Iran durch die Straßen gezogen. Laut der Stadt leben in Stuttgart rund 1244 iranische Staatsangehörige.

„Mehr Unterstützung aus dem Ausland“

Einige von ihnen sind stadtbekannt. Wie etwa Florence Shirazi. Ihr Vater kommt aus dem Iran. Sie selbst hat bis zu ihrem sechsten Lebensjahr im Iran gelebt. „Mich beschäftigt das Thema sehr und es ist wahnsinnig emotional für mich. Anfangs habe ich mich gewundert, dass bei uns so lange gar nicht darüber berichtet wurde. Ich habe Familie, Cousinen und ihre Kinder im Iran. Ich möchte, dass vor allem die Mädchen dort frei leben und sich frei entfalten können. Das geht mit dem Mullah-Regime nicht. Gefühlt leben sie in einem anderen Jahrhundert. Das muss sich ändern,“ sagt sie.

Florence Shirazi wünscht sich ein Ende der Gewalt und mehr Freiheiten für ihre Cousinen und deren Töchter im Iran. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Vor 20 Jahren hat sie zuletzt den Iran besucht, doch mit ihrer Familie dort stehe sie dank Whatsapp in engem Austausch. „Als wir in den 70er-Jahren im Iran gelebt haben, war es genauso wie hier auch. Die Kids heute interessieren sich für die gleichen Sachen, wie die Kids im Westen. Sie haben die gleichen Wünsche und Träume. Sie möchten in dieser Welt nicht mehr isoliert sein. Im Iran liegt der Altersdurchschnitt bei 30 Jahren! Sehr viele studieren, die Mehrheit davon Frauen. Ich würde sagen, es gibt einen hohen gebildeten Bevölkerungsanteil. Das passt alles nicht mit dieser Regierungsform zusammen.“

Die Unfreiheit, die rigiden Vorschriften und die Gewalt gegen die Bevölkerung seien besonders schlimm, wie ihr auch Familienangehörige oft schilderten. Für die Protestierenden braucht es laut Shirazi mehr internationale Unterstützung. „Die iranische Bevölkerung hat schon viel getan. Sie sind so mutig, sie wissen, dass sie sterben können, wenn sie dort protestieren, und machen es trotzdem. Jeder Tote schürt die Wut der Protestierenden noch mehr. Es muss sich etwas ändern. Für die Iraner ist die Solidarität und Unterstützung aus dem Ausland extrem wichtig. Deshalb sind die Proteste auch hier bei uns wichtig“ , ist sie überzeugt. „Ich glaube, Menschen müssen immer auf die Straße gehen.“

„Das Thema treibt die Menschen auch hier um“

Auf ihrer Handtasche prangt ein Button mit der Aufschrift #IranianRevolution. Vor Kurzem war sie selbst auf einer Demo in Stuttgart. „Netzaktivität, Bildung und Information sind sehr wichtig, aber es bringt nichts, sich das nur auf Instagram anzuschauen, im besten Fall bringt man seinen Freundeskreis dazu, auch mitzumachen. Das ist zwar Klein-Klein, aber ich glaube, nur so geht’s. Die Veranstaltungen hier werden von der iranischen Community veranstaltet. Da bin ich kein Teil davon. Ich bin in Stuttgart nicht mit Iranern vernetzt. Aber auf der Demo, auf der ich vor Kurzem war, waren neben Iranern auch Menschen, die ganz alleine kamen. Da hat man gesehen, dass das Thema die Leute auch hier verrückt macht und sie umtreibt.“

Ihre Hoffnung ist, dass sich wirklich etwas ändert. „Ich wünsche mir sehr, dass mein Vater das noch miterlebt. Wenn das mit der Revolution klappt, dann fahren wir alle im Frühjahr in den Iran und feiern Nouruz, das Neujahrsfest, zusammen.“

„Es könnte noch schlimmer werden“

Die direkte Auseinandersetzung mit dem was gerade im Iran passiert, erlebt auch ein iranischstämmiger Gastronom in Stuttgart mit, der anonym bleiben möchte. Demonstrierende kommen häufig nach den Treffen in sein persisches Restaurant mitten in der Stadt. „Alle Iraner hier sind zurzeit extrem aufgeregt, alles dreht sich um Politik.“ Online informiert er sich über die Lage und hört etwa Gespräche auf Clubhouse an. „Ich kenne keinen Iraner in Stuttgarter, der nicht morgens aufsteht und sofort die Nachrichten aus Iran checkt und die ganze Zeit daran denkt. Natürlich beschäftigt uns das alles hier. Aber wir sind auch vorsichtig, Sie wissen ja, dass es nicht einfach ist, alles zu sagen.“

Der Restaurantbesitzer glaubt jedoch nicht „ dass die Demonstrationen jetzt den Umsturz bringen. Die Gewaltspirale wird sich weiter nach oben drehen. Ich sehe da eher eine Apokalypse. Nur wenn es dem Land wirtschaftlich richtig schlecht geht, kann ich mir vorstellen, dass es zu einer echten Veränderung kommt.“ Doch er sieht nicht nur schwarz. „Andererseits finden die Iraner durch die Demonstrationen wieder zu sich und ihrer Identität und zu mehr Selbstvertrauen, von daher bringt das schon was. Und dafür, dass die Menschen im Iran sich nicht alleine fühlen. Aber es passieren furchtbare Dinge dort.“

Auch er hat engen Kontakt zu Familie und Verwandten in seiner alten Heimat und bekommt die Proteste und Gewalt aus erster Hand mit. Seit den 80ern lebt er in Deutschland. „Wenn das Land demokratisch werden würde, würden bestimmt einige gebildete und wohlhabende Iraner wieder zurück in ihr Heimatland gehen wollen“, meint er.

Wie ein Regierungswandel aussehen könnten, darüber hat er eine klare Meinung: „Nichts, was mit dem Islam zu tun hat, kommt als Regierung infrage. Mit dem Islam haben die Mächtigen im Iran das Land entislamisiert. Was ich mir wünsche? Eine Trennung von Staat und Religion, keine Opfer mehr und dass jeder, der die Bevölkerung tötet, bestraft wird. Ich wünsche mir ein besseres Leben für mein Land.“

Auch die Theaterschauspielerin Schirin Brendel hat einen persönlichen Bezug zum Iran. Geboren und aufgewachsen ist sie in Frankfurt am Main als Tochter einer Stadtplanerin und eines iranischen Architekten. Zeitweise lebte sie in Teheran. Seit langem nun aber schon in Stuttgart und steht hier regelmäßig im Theaterhaus, Studio Theater und Forum Theater auf der Bühne. Ihr Bezug zum Iran finde sich nur auf dem Papier, sagt sie. „Aber nicht einmal das. Mein Vater hat auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Meine Mutter war Deutsche. Was sollte an meinen Antworten anders sein, als von anderen deutschen Frauen? Frauen werden sich weltweit durch die Krise im Iran solidarisieren und für Ihre Rechte einstehen, dafür kämpfen und sich nicht mehr unterdrücken lassen. Sie sind der Schlüssel in eine freie Gesellschaft.“

Schirin Brendel spielt oft in politischen Stücken auf Stuttgarter Theaterbühnen mit. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Proteste beschäftigen Brendel sehr. „Mich macht die Auseinandersetzung mit diesen Protesten unfassbar wütend. Dass so eine Unterdrückung in unserer heutigen Zeit immer noch existieren kann. Es erschüttert mich, wenn ich es an mich heran lasse. Natürlich verfolge ich das Geschehen im Iran. Mit großer Aufmerksamkeit. Und mit Sorge.“ Sie versuche mit ihrer schauspielerischen Arbeit Brücken zu Menschen in Krisensituationen zu schlagen und so einen Dialog dazu zu finden und für andere zu eröffnen, erzählt sie. „ Dadurch bin ich politisch aktiv, indem wir durch unsere Theaterarbeit Themen aufgreifen, um einen Raum für Auseinandersetzungen zu schaffen. Im Iran sind es vor allem ja die Frauen, die dort für mehr Bildung und Aufklärung kämpfen. Und so ähnlich verstehe ich meine Aufgabe auch hier.“