Bei einer Tour über das Eiermann-Areal in Stuttgart-Vaihingen erklären die Planer, was sie alles Wegweisendes vorhaben – und wann es endlich losgehen soll.

Vaihingen - Genug geredet, genug geplant. Es ist Zeit, Fakten zu schaffen und mit dem Bau zu beginnen. So lautete der Tenor am Samstag, als Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) ausgewählte Funktionsträger seiner Partei, darunter Stadt- und Bezirksbeiräte, auf den Vaihinger Eiermann-Campus einlud. Das ehemalige IBM-Areal in Autobahnnähe wird mehr und mehr von der Natur vereinnahmt, steht seit Jahren leer. Morbide Romantik kann man der Szenerie nicht absprechen, doch in Vaihingen scharrt man mit den Hufen, will Taten sehen.

 

Die vom Investor Consus beauftragte Beratergesellschaft Trend Consulting plant das Areal eifrig. Jürgen Gießmann, Partner bei Trend Consulting, und die ebenfalls an der Planung beteiligten Architekten Udo Bertsch und Gitta Faßnacht brachten die Gäste bei einer Tour rund um das 190 000 Quadratmeter große Areal auf den Stand der Dinge. Das Wichtigste vorab: „Ziel ist es, dass der Bebauungsplan bis Mitte nächsten Jahres rechtskräftig ist“, sagte Gitta Faßnacht.

Bald darauf könnten die Baufirmen anrücken und mit der Errichtung des markanten Schleifenhauses beginnen, ein schlankes und lang gezogenes Hochhaus, das das Areal von der lauten Autobahn abschirmen soll. Schrittweise sollen die anderen Bauten folgen. Mit sieben bis zehn Jahren Bauzeit rechnet Udo Bertsch bis zur Fertigstellung. Das gemischte Quartier gilt als zukunftsweisend: Es entstehen Wohnungen und Büros im Verhältnis 70 zu 30, ein Jugendtreff, ein Stadtteilhaus, altersgerechtes Wohnen und Wohnungen für Studenten, das Quartier soll zudem energieneutral werden.

Der Lieferverkehr soll nur bis zu einem Verteilerzentrum fahren

Insgesamt sollen 1800 Wohnungen für 4000 Menschen entstehen, teils zum Verkauf, teils zur Miete. Innerhalb des Areals soll es weitgehend verkehrsberuhigt zugehen. Der übliche Lieferverkehr, der in den Innenstädten die Straßen verstopft, soll nur bis zu einem Verteilerzentrum fahren, von wo aus die Bewohner ihre Pakete abholen. An einem Mobilitätsknotenpunkt sind verschiedene Car- und Bikesharing-Angebote geplant.

Der Weg dorthin kommt vielen lang vor. Vor vier Jahren hatten das Münchner Architekturbüro Steidle und die Landschaftsarchitekten von Realgrün den Wettbewerb gewonnen, 2017 stieg ein Team aus Planern, Verkehrsexperten und Architekten ein. Auf der Suche nach einem Investor gilt das Jahr 2018 als Knackpunkt, als der Ausschuss für Umwelt und Technik in einer knappen Entscheidung dafür stimmte, das Verhältnis von Wohnraum und Büros von 30 zu 70 auf 70 zu 30 zu kippen. So kam der Investor, die Schweizer SSN Group AG ins Spiel, die später von der Berliner Consus Real Estate AG, kurz Consus, gekauft wurde.

Bis zur IBA 2027 könnte ein Großteil der Bauten fertig sein

Der Investor ist mit seiner Düsseldorfer Tochtergesellschaft Consus Development gleichzeitig Bauherr und hat im Januar auf dem Vaihinger Areal eine Niederlassung bezogen. Bis zur Internationalen Bauausstellung 2027 könnte ein Großteil der Bauten fertig sein. Bis dahin kommen Zwischennutzungen ins Spiel.

Das Casino genannte Ensemble aus Kantine und Cafeteria gilt vielen dafür als prädestiniert. Es befindet sich in einem der „Eiermänner“, also den denkmalgeschützten Gebäuden des Architekten Egon Eiermann, die saniert erhalten bleiben und Quartiersmittelpunkt werden sollen. Auch nach Fertigstellung sehen die Planer im Casino einen möglichen Ort für Events und als gesellschaftlichen Treffpunkt. Ein solcher Treffpunkt dürfte auch an dem See entstehen, der an zentraler Stelle geplant ist. Dazu kommen laut Planern mehrere Teilzentren und Achsen, an denen Geschäfte für Leben sorgen sollen.

Wird aus der Vision Realität?

Die Planer sind ohnehin bemüht, keinen Solitär mit Schlafstadt-Charakter zu schaffen, sondern ein Viertel, das gut an den Bezirk angeschlossen ist. Hier kommt die oft erwähnte Seilbahn ins Spiel, die nicht nur der Verkehrsminister gern sähe. Sie soll das Areal mit dem Vaihinger Zentrum verbinden und wäre die erste Seilbahn der Republik, die als reguläres innerstädtisches Verkehrsmittel eingesetzt würde. Ob aus der Vision Realität wird, ist noch nicht sicher, gilt den Beteiligten aber immerhin als realistische Aussicht.

Markus Weise, Verkehrsexperte des von Consus engagierten Beratungsunternehmens Fichtner, stellte ein weitgehend von Autos befreites Viertel in Aussicht, da diese laut Konzept unter der Erde abtauchen werden. Im Umfeld des Areals entstehe der erste nur Fahrrädern vorbehaltene Kreisverkehr Stuttgarts mit Anschluss an die Radschnellstraße gen Böblingen. Dem Wunsch nach einem autonom fahrenden Bus steht Weise eher skeptisch gegenüber, die Technik sei noch nicht soweit. „Bei Bedarf lässt sich so etwas aber problemlos integrieren“, sagte Weise.