In unserer Serie „Stuttgart von oben“ haben wir uns rund um die Ladenzeile in Dürrlewang umgeschaut. Wer dort einkaufen will, bekommt längst nicht alles. Aber weitaus mehr, als man eigentlich aufgrund der statistischen Daten erwarten dürfte. Ein Spaziergang durch eine Passage mit einigen Nach- und immer mehr Vorteilen.

Dürrlewang - Ein Beispiel für schlechte Recherchevorbereitung gefällig? Man fahre an einem Montagmittag nach Dürrlewang, um sich in der Ladenpassage an der Osterbronnstraße ein wenig umzuschauen und die Stimmung einzufangen. Das Café Geiler zu Beginn der Ladenpassage hat montags immer Ruhetag. Seit Sommer hat auch die wenige Schritte entfernte Bäckerei Bausch montags geschlossen. Und über Mittag – so gegen 13 Uhr – haben noch weitere Läden in der Passage gerade Pause. Da ändert auch der strahlende Sonnenschein dieses Herbsttages wenig daran, dass man eine Weile alleine mit den Eichhörnchen ist, die auf der Rasenfläche und in den Bäumen vor der Ladenpassage herumtollen. Idylle am Rande der Großstadt – und keiner merkt und schätzt es. Bonjour Tristesse.

 

Small Talk mit den Kunden

Doch die Stille muss kein Nachteil sein: Man hört beispielsweise einzelne Stimmen besser. Etwa die von Marianne Löffler und Siegline Zobel, die gerade aus der geöffneten Tür des Kleiderladens des Roten Kreuzes in der Ladenpassage dringen. „Ha noi, die Handschuhe nehmet Se mit. Da machen wir zwei Euro und der Bub muss em Winter nemme friera.“ Und schon wechselt ein Paar gefütterte Lederhandschuhe den Besitzer. Der Junge strahlt, die Mutter ist zufrieden und Marianne Löffler, die seit 35 Jahren die Kleiderausgabe des DRK in Stuttgart leitet, kann zum Small Talk mit den Kunden übergehen. Wie es denn in der Schule so laufe, ob das Lernen Spaß mache, ob der neue Besitzer der Winterhandschuhe nicht auch mit dem und dem die Schulbank drücke. Das nette Wort am Rande – hier kommt es nicht zu kurz. Seit zwei Jahren befindet sich der Kleiderladen in der Ladenpassage in Dürrlewang. Zunächst eine Notlösung, weil der alte Standort der Kleiderkammer gekündigt worden war. Doch jetzt will Löffler das Ladenlokal unter keinen Umständen mehr hergeben: „Hier können wir die Kleidung richtig nett präsentieren. Das ist schon was anderes als der kleine Ausgaberaum, den wir früher hatten.“ Zudem sei die Lage toll: „Wir sind jetzt näher an der Kundschaft.“ Und lag eben noch Mittagsruhe über der Osterbronnstraße und dem Park, füllt sich der Laden nun schnell. „Wir machen immer montags und mittwochs auf, das wissen unsere Kunden“, sagt Sieglinde Zobel, die zweite ehrenamtliche Verkäuferin. Momente des Leerlaufs, so wie noch vor ein paar Minuten, seien da eher selten.

Von dem lange Jahre in Dürrlewang beklagten Leerstand in der Ladenpassage haben Zobel und Löffler nichts mitbekommen. „Als wir vor zwei Jahren herkamen, da haben eine ganze Reihe anderer Läden parallel hier aufgemacht“, berichtet Löffler. So habe etwa in dieser Zeit auch das Mosaikatelier ein Lokal wenige Schritte weiter bezogen, genauso das Stadtteilbüro des Projekts „Soziale Stadt“ und das Stuttgart Center for Arabic Law. Nicht die typischen Nahversorger, die sich viele Menschen im Stadtteil wünschen – aber immerhin kein leeres Schaufenster mehr, findet sie.

Früher gab es eine Bank und sogar ein Haushaltswarengeschäft

Manfred Seher ist einer derjenigen, denen eine gute, fußläufig erreichbare Nahversorgung vor Ort sehr fehlt. „Wir haben hier jetzt zwei Bäcker, zwei Frisöre, einen Bauchtanzladen – aber dort, wo früher der Nah-und-Gut-Laden war, ist immer noch kein Lebensmittelhändler eingezogen.“ Der Senior kommt regelmäßig zum Mittagstisch in die Awo-Begegnungsstätte, um dort Kontakt zu den Bekannten im Stadtteil zu halten. „Gell, wenn’s hier endlich einen Supermarkt gäbe und eine Bankfiliale, dann wären wir zufrieden, oder?“, sagt er und schaut seinen Tischnachbarn Josef Schäftner an. Beide kennen sich seit Jahrzehnten; Bekanntschaft haben sie einst beim Schachspielen geschlossen und gehören zur Generation der Erstbezieher. Sie sind mit ihren Familien Mitte oder Ende der 50er Jahre nach Dürrlewang gezogen und schwärmen von dem Angebot, dass es im Stadtteil früher gab. „Da gab es eine Bank, da gab es sogar ein Haushaltswarengeschäft und eine Postfiliale.“ Alles Notwendige für den Alltag war da, nur einen Katzensprung von der Eigentumswohnung entfernt. „Heute muss ich für alles nach Rohr oder Vaihingen fahren.“ Wäre ein Umzug in eine zentralere Wohnlage eine Option? Beide schütteln vehement den Kopf. Hier habe man doch die Wohnung und vor allem: „Woanders kenne ich doch niemanden“, sagt Seher.

Jonas Weitgang, seit einigen Monaten Sozialarbeiter in der Awo-Begegnungsstätte, hat das Gespräch mitbekommen. Zuvor hat er in einer ähnlichen Awo-Einrichtung in Zuffenhausen gearbeitet. „Klar, in Zuffenhausen ist mehr Einkaufsangebot vor Ort“, sagt er. Doch seiner Meinung nach falle Dürrlewang im Vergleich dennoch nicht hintenüber. „Dürrlewang hat Potenzial“, findet Weitgang. Eben dass die Geschäfte so gut fußläufig zu erreichen seien, dass sie nicht an viel befahrenen Hauptstraßen, sondern an einem kleinen Park lägen, das sieht er als Vorteil. „Das gefällt den Anwohnern auch, das wollen sie nicht missen.“ Seines Erachtens nach sei noch recht viel Angebot vor Ort vorhanden. „Aber klar, wenn man es mit dem vergleicht, was früher mal war, dann werden viele alteingesessene Einwohner nostalgisch und vermissen das Angebot.“

Einkaufen im Königsmarkt ist stressfreier

Einen Blick von der anderen Seite der Ladentheke auf die Dinge hat Key Davoudi. Der Mitsechziger ist Inhaber des Königsmarktes, einem Geschäft für Lebensmittel und Obst und Gemüse an der Osterbronn-straße. Schlecker ist zu, Penny ist zu, aber ihn gibt es noch. Und das seit 17 Jahren. Die ersten Jahre seien richtig gute Jahre gewesen: „An Samstagen ging die Kundenschlange hier von der Kasse bis zur Tür“, sagt er und deutet durch seinen Laden. Mit der Eröffnung der Schwabengalerie in Vaihingen habe sich das schnell geändert. „Da muss man gucken, wo man bleibt.“ Wenn er noch jünger wäre, würde er sich es vielleicht überlegen, noch einmal woanders anzufangen. Aber das kommt für ihn jetzt nicht mehr infrage. Davoudi versucht stattdessen, seine Stammkundschaft zu hegen und zu pflegen. Er bietet Fahrdienste ab einem Einkauf von 25 Euro an. Er zeigt Verständnis dafür, dass alte Leute eben nicht die Familienpackung kaufen. „Die brauchen eben nur zwei Möhren und eine Tomate.“

Die junge Mutter mit ihrer Tochter am Spielplatz ist jedenfalls begeistert vom Königsmarkt. Sie wohnt seit zwei Jahren in Dürrlewang. „Ich weiß auch, dass wir mit unserem Einkauf den Laden nicht am Leben erhalten“, sagt sie und deutet in ihre Tasche, in der ein Kürbis und eine Packung Blaubeeren liegen. „Aber uns gefällt die familiäre Atmosphäre hier sehr gut. Das Einkaufen ist kein Stress, man muss keinen Parkplatz suchen, muss nicht schauen, dass das Kind auf die Straße rennt.“ Vielleicht ein Pfund, mit dem der Stadtteil künftig stärker wuchern kann?

Mehr zur Serie „Stuttgart von oben“ finden Sie hier.