Welch ein Wandel: Wer die Kronprinzstraße von heute als Flaniermeile mit Eiscafé und Spielmöglichkeiten kennt, würde sich im Jahr 1955 nur schlecht in diesem Straßenzug nordwestlich der Königsstraße auskennen.

S-Mitte - Spuren, die sich nicht nur anhand der Luftbilder von 1955 und 2015 erkennen lassen, sondern auch ins Stadtarchiv am Bellingweg führen. Dort geleitet Günter Riederer regelmäßig Gruppen durch die moderne Einrichtung im historischen Haus und gibt Tipps, wie man der Geschichte auf die Spur kommen kann. „Die erste Anlaufstelle sind unsere gesammelten Zeitungsausschnitte“, sagt Riederer, der für die Öffentlichkeitsarbeit des Stadtarchivs zuständig ist. Zielgerichtet geht er zu einer Reihe dunkelgrauer Regale mit weißen Kartons. Unter dem Buchstaben K wie Kronprinzstraße finden sich so manche Ausschnitte, die das belegen, was auch auf den Luftbildern gut zu sehen ist.

 

„Bis auf drei monumentale Bauten, das Gebäude der Württembergischen Kreditverein AG, den Mittnachtbau und das Stockgebäude, sind alle Anwesen dieser Straße im letzten Kriegsjahr restlos in Schutt und Asche gesunken“, steht am 13. Oktober 1962 in der Stuttgarter Zeitung.

Ausgebombtes Kronprinzenpalais

Auf unserem Luftbild von 1955 ist der Schutt weggeräumt. Wo einst historische Häuser in der Altstadt von Stuttgart standen – wie etwa das Landschaftshaus, dem Vorgänger des Landtags – reihen sich zehn Jahre nach Kriegsende Auto an Auto auf einer riesigen Brache zwischen der Kronprinzstraße und der Calwer Straße. Der große Parkplatz ist gut unten links auf dem Luftbild zu erkennen. Genauso das ausgebombte Kronprinzenpalais am oberen Ende der Straße, das später dem Kleinen Schlossplatz weichen musste. Heute steht dort das Kunstmuseum.

Alte Fotografien des Straßenzugs lassen ebenfalls erahnen, welchen Wandel die Kronprinzstraße durchgemacht hat. Günter Riederer holt drei Hängemappen heraus, die nach Epochen sortiert sind. Vorkriegsfotos zeigen eine schmale Straße, eng bebaut mit schönen alten Häusern. Dann die Zerstörung. Trümmerberge, Ruinenteile. Als unser Luftbild im Jahr 1955 aufgenommen wurde, war die Kronprinzstraße auch noch schmal.

Erst die später vom Gemeinderat beschlossene Neuordnung des Gebiets sollte große Veränderungen bringen. Wesentlich breiter sollte die Kronprinzstraße werden – und an jeder Straßenkreuzung ein Hochhaus zugelassen werden. Bilder aus dem Jahr 1973 zeigen etwa den Rohbau des Hochhauses an der Ecke Büchsenstraße. Davor noch Mauerreste vom Abbruch. Die Straße selbst zugeparkt und nach wie vor schmal. Erst vier Jahre später – im Juni 1977 – titelt die Stuttgarter Zeitung: „Ein neues Reich für die Fußgänger“.

Doch was als Einkaufsstraße Entlastung der Königsstraße gedacht war, wurde bald zum Hinterhof der Innenstadt. Die ebenerdigen Zufahrten zu den unterirdischen Parkhäusern machten die Straße für Flaneure unattraktiv.

Sitzbänke laden zum Verweilen ein

Heute sieht die Kronprinzstraße wieder ganz anders aus. Auf dem Luftbild aus dem Jahr 2015 ist der nordwestliche Teil wieder schmal. An der Kienestraße ist in der Zwischenzeit ein großer Gebäudekomplex entstanden. Autos können nur noch bis zur Ecke Gymnasiumstraße ihre Runden drehen. Von da an bis zum Kleinen Schlossplatz sind Fußgänger die Nummer Eins. Spielflächen für Kinder, Sitzbänke für die Großen laden zum Verweilen ein.

Im Stadtarchiv zieht Günter Riederer noch einen Trumpf aus dem Ärmel. Wer bei Zeitungsausschnitten und Fotos noch nicht genug Infos findet, kann unter anderem in der Stadtchronik recherchieren. „Die Chronik der Stadt Stuttgart wird oft unterschätzt“, sagt Riederer.

Dabei finden sich dort – früher in Buchform und seit dem Jahr 2003 auch im Internet – alle wichtigen Ereignisse verzeichnet. Wie auch etwa der Großbrand im Jahr 1992, dem der Firnhaberbau an der Kronprinzstraße zum Opfer gefallen ist. Es war Brandstiftung, lässt sich da entsprechend nachlesen. Und: Dass das Oberlandesgericht die ehemaligen RAF-Terroristen Sigrid Sternebeck und Ralf Friedrich zu achteinhalb und sechseinhalb Jahren verurteilt hat.

Das Gebäude zwischen Kronprinzstraße und Calwer Straße war so stark beschädigt, dass es abgerissen werden musste. Im Januar 1993 vermeldet die Chronik, dass ein städtebaulicher Wettbewerb ausgeschrieben werden solle. Heute steht an der Stelle ein großes Geschäftshaus. Allein die Einfahrt für die Tiefgarage erinnert noch an frühere Zeiten, die genau zwischen unseren Luftbildaufnahmen liegen.