Die Autobahnpolizei kontrolliert seit Februar, ob bei Stau die Rettungsgasse freigehalten wird. Die Zahl der Verstöße in den ersten vier Monaten des Pilotprojektes ist erstaunlich hoch.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Im Rechner der Verkehrspolizei ist eine Galerie der Staunenden gespeichert. Es sind die Fotos, welche die Streifen bei der Jagd auf Rettungsgassensünder machen. Um einen Beweis zu haben, wer am Steuer saß, fotografieren die Beamten die Fahrerinnen und Fahrer, die sie ertappen. Den Aufnahmen ist eines gemeinsam: Den Fotografierten steht ein großes Fragezeichen förmlich ins Gesicht geschrieben. „Was hab ich denn jetzt falsch gemacht?“ scheinen sie zu fragen. Ihr Fehler: Sie haben im Stau die Rettungsgasse nicht freigelassen.

 

Die Fotos entstehen bei den regelmäßigen Streifenfahrten der Autobahnpolizei. Seit dem Frühjahr rücken die Beamten von Stuttgart-Vaihingen genau dann aus, wenn man die Autobahn am liebsten meiden würde: Wenn die Verkehrsapps auf dem Handy dunkelrote Linien anzeigen, wo man eigentlich mit 120 Stundenkilometern dahinrauschen möchte, und nichts mehr geht. Die Einsatztasche, das große schwarze Gepäckstück auf dem Rücksitz des Streifenwagens, ist dann um einen neuen Ausrüstungsgegenstand ergänzt: eine Digitalkamera, die mit anständiger Auflösung auch Filme vom Geschehen auf den Autobahnen liefert.

Die Gasse muss frei sein, wenn der Verkehr stillsteht

Polizeioberkommissar Markus Stoll steuert auf das Stauende zu und blickt tief in die Rettungsgasse hinein. „Da vorne, halt mal auf den Blauen“, sagt er zu seiner Kollegin auf dem Beifahrersitz, die die Kamera bedient. Sie schaltet das Gerät ein und hält auf das Fahrzeug. Der Blaue, das ist ein schwarzer Transporter, der einen Anhänger mit blauer Plane zieht. Kurz vor dem Rastplatz Gerlinger Höhe kommt der Verkehr zum Stehen und ein Großteil der Fahrzeuge weicht vorbildlich zur Seite: Die Fahrer auf der linken Spur nach links, die auf den beiden rechten Spuren nach rechts. In der Mitte tut sich die Rettungsgasse auf, durch die der Streifenwagen mit Blaulicht fährt. Trotz des blinkenden Lichts und des mit neongelber Folie zusätzlich zum Blau des Streifenwagens beklebten Autos im Rückspiegel bleibt der Transporter hartnäckig auf seiner Spur. „Das hätte einen Rettungswagen im Ernstfall jetzt schon wieder ausgebremst“ ,sagt Stoll.

Der Beweis muss gerichtsfest sein. Denn es geht um viel: Die Rettungsgassensünder erhalten für die Ordnungswidrigkeit zwei Punkte im Flensburger Zentralregister und ein Bußgeld von 200 Euro wird fällig. Die Sanktionen sind hoch, weil es im Ernstfall um Leben und Tod gehen kann. Deswegen hat die Polizei im Land im Frühjahr nicht nur eine Aufklärungskampagne gestartet und an Autobahnbrücken Banner mit einer schematischen Darstellung der bei Stau zu bildenden Rettungsgasse angebracht. Seit dem Frühjahr sind die Beamten der Verkehrspolizei auch auf Streife, um mit dem Videobeweis die Verstöße festzuhalten. Das Zusammenspiel von Prävention und Repression, informativer Aufklärungsarbeit und Ahndung der Verstöße, soll die Autofahrer für das Thema sensibilisieren.

In diesem Jahr bereits 576 Verstöße registriert

Die Notwendigkeit besteht. Das belegen die Zahlen der Kontrollen. Bereits in den ersten Wochen war die Trefferquote hoch gewesen. Als der Innenminister Thomas Strobl (CDU) im Februar das Projekt präsentierte, waren in den ersten zwei Wochen der Pilotphase bereits 50 Autofahrer erwischt worden. Die Zahlen bleiben seither auf hohem Niveau: zwischen 100 Verstößen im Februar und 173 im März wurden registriert. In diesem Monat wurden Stand Donnerstag, 24. Mai, bislang 125 Verstöße von den Videostreifen festgestellt. Insgesamt wurden seit der Gesetzesänderung im vergangenen Herbst, mit der die höheren Sanktionen eingeführt wurden, 576 Autofahrer erwischt, die gegen die Regeln zur Bildung einer Rettungsgasse verstoßen haben. Die Zahlen belegen für das Innenministerium, „dass das Thema weiterhin auf der Tagesordnung steht. Die Polizei wird die Bildung der Rettungsgasse weiter im Blick haben und entsprechend konsequent ahnden“, teilte ein Sprecher des Innenministeriums mit.

In der Praxis heißt das, dass Markus Stoll und seine Kollegen noch häufig die Kamera zücken werden, wenn Stillstand herrscht auf den Autobahnen. „Es muss der Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit bestehen“, erst dann dürfe die Kamera eingeschaltet werden. Das ist zum Beispiel dann aus Sicht der Beamten der Fall, wenn sich ein Autofahrer „festgefahren“ hat: Er ist nicht zur Seite gewichen und steht mit geringem Abstand zwischen Vorder- und Hintermann. „Da ist kein Ausweichen mehr möglich“, sagt Stoll kurz hinter Ludwigsburg – und die Kollegin lichtet den erstaunten Fahrer des schwarzen SUV ab.