423 Frauen und Männer sind im Lichthof des alten Justizgebäudes in Stuttgart während der Nazi-Zeit hingerichtet worden. Eine neue Ausstellung erinnert an die Opfer.

Stuttgart - Ein paar Bemerkungen am Arbeitsplatz haben ausgereicht. Der Buchbinder Adolf Gerst aus Gablenberg hatte sich kritisch über die nationalsozialistische Kriegspolitik geäußert. Kollegen zeigten ihn an. Der 3. Senat des Volksgerichtshof verurteilte den 49-Jährigen am 9. Mai 1944 in Stuttgart wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode. Adolf Gerst starb am 22. Juni 1944 im Lichthof des Stuttgarter Justizgebäudes. Er wurde geköpft.

 

Gerst ist einer der 423 Frauen und Männer, die von 1933 bis 1944 in Stuttgart hingerichtet wurden, oft wegen Bagatellvergehen. Ihre Namen sind auf drei Stelen zu lesen, die seit Montag auf dem Vorplatz des Justizgebäudes an der Urbanstraße zu sehen sind. „Wir wollen jedem Einzelnen durch das Nennen seines Namens eine bleibende Erinnerung geben“, sagt Landgerichtspräsident Andreas Singer bei der Eröffnung der Ausstellung NS-Justiz in Stuttgart. Die NS-Justiz sei die „Perversion eines Rechtsstaats“ gewesen. Es sei eben nicht für einige Jahre der Teufel in der Justiz eingezogen. „Nein, das waren Richter, die ihrer Arbeit in der Weimarer Republik ganz normal nachgegangen waren“, sagt Singer. Diese Richter hätten dann einem System gedient, in dem die Menschenwürde mit Füßen getreten worden sei.

Die Menschenwürde mit Füßen getreten

Die Ausstellung gibt nicht nur den ermordeten Opfern Namen und Gesicht, sondern nennt auch die Richter und Staatsanwälte, die am Sondergericht in Stuttgart an Todesstrafen mitgewirkt haben. Die meisten von ihnen waren nach 1950 wieder in der Justiz tätig. Ein weiterer Bereich erinnert an 73 jüdische Juristinnen und Juristen aus dem Landgerichtsbezirk Stuttgart, die in der NS-Zeit entrechtet, ermordet oder in die Emigration gezwungen wurden.

„Die Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte ist ein absoluter Glücksfall“, betont die Präsidentin des Oberlandesgerichts Stuttgart, Cornelia Horz. So sei eine Erinnerungsachse zur Ausstellung im sogenannten Hotel Silber, der ehemaligen Gestapo-Zentrale, entstanden.

Viele Veranstaltungen geplant

Verantwortlich für die Ausgestaltung der Schau, die von diesem Mittwoch an geöffnet ist, ist Kuratorin Sabrina Müller vom Haus der Geschichte. Sie hat seit 2016 recherchiert und weist darauf hin, dass Württemberg in Sachen Dokumentation der NS-Justiz Schlusslicht in Deutschland sei. „Das liegt an der Quellenlage. Sie ist sehr verstreut und fragmentiert“, so Müller. Den Stein für das Projekt angestoßen hatte der frühere Stuttgarter Verwaltungsrichter Fritz Endemann – im Jahr 1989.

Das Stuttgarter Gericht werde zum Erinnerungs- und Ausstellungsort, sagt die Direktorin des Hauses der Geschichte, Paula Lutum-Lenger. Damit sei die Arbeit aber nicht abgeschlossen. Es werde Führungen, Filme und Vorträge geben. Unter www.hdgbw.de/ausstellungen/projekte/ gibt es einen Überblick zu den Angeboten.