Die Narzissen drücken sich durch den schlammigen Boden ans Licht. Regenwürmer schlingen sich im feuchten Gras umeinander. Nicht nur im Garten fragt sich der von Tatendrang beseelte Mensch: Frühlingsgefühle, gibt es das? Eine Stuttgarter Ärztin klärt auf.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Was für eine sinnliche Wonne: Wie sich die ersten Narzissen durch den schlammigen Gartenboden ans Licht drücken, ihre hellgrünen Spitzen wie Vorboten einer helleren, bunteren Zeit. Entlang der feinstaubverrußten Straßen quellen die Köpfe der gelben, der roten, der lila Tulpen aus langen Blumenstängeln auf dem matten Winterrasen. Im Atelier des Frühlingsmalers gibt es keine Bescheidenheit. Da wird mit Farben, mit praller Blütenpracht geprahlt, überall sprießt und grünt es.

 

Es riecht nach nassem Rasen, das muss Frühling sein

Dann schon sind die Tage länger, draußen wird es milder, wir flirten mit dem Handwerker, es riecht nach nassem Rasen, das muss Frühling sein. „Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung an der Wiesen aufgedecktes Grau. Kleine Wasser ändern die Betonung. Zärtlichkeiten ungenau“, schreibt Rilke. Die steifen Turnschuhe tragen den Dreck vom letzten Herbst in harten Bollen an der Sohle. Wer jetzt nicht joggt.

Das Frühjahr verleihe dem Menschen, liest man, „mehr Tatendrang“. Wir setzen an zur Gartenarbeit, die Tulpen öffnen die Blütenblätter weit im Sonnenschein, fast überreizt, als würden sie alle Glieder von sich strecken, den Bienen lustvoll sich andienen wie mit ausgestreckten roten Zungen. Im Rasen neben dem faltigen Blattwerk der Primeln liegen zwei Regenwürmer, eng aneinander geschmiegt ihre Ziehharmonikakörper. Sich so umeinander schlingen im eigenen Schleim können sonst nur die Tigerschnegel, diese Nacktschnecken in Raubkatzenoptik, die einander im Frühjahr durch den Garten verfolgen, um dann einen Ast zu suchen, wo sie ein Schleimseil produzieren, sich gemeinsam daran abseilen und in luftiger Höhe wie Trapezkünstler ihre Körper umeinander wickeln.

Ein Eindruck des Neuanfangs, der Verheißung

Das wirkt sehr attraktiv. Die Stuttgarter Gynäkologin, Psycho- und Sexualtherapeutin Roswitha Engel-Széchényi sagt: „Wenn wir die Pflanzen und Tiere im Frühjahr sehen, vermittelt es uns in archaischer Form einen Eindruck des Neuanfangs, der Verheißung.“ Wenn von Frühlingsgefühlen die Rede ist, meint man meist: Verliebtsein wie Flimmern, ein aufregender Flirt, mehr Lust auf Sex. Wer die Natur beobachtet, kann den Eindruck bekommen, das sei uns, den Säugetieren, auch ganz natürlich gegeben. Paarungsverhalten, sagt die Stuttgarter Ärztin, werde im Tierreich dann initiiert, wenn die Bedingungen für Fortpflanzung und Aufziehen der Jungen optimal seien. Also wenn es warm ist und nicht mehr so unwirtlich.

Einen Effekt haben die milden Temperaturen entsprechend auf den Hormonhaushalt des Menschen: Mehr Endorphine und Serotonin, Glückshormone, werden freigesetzt durch Licht und Sonne. „Dadurch fühlen wir uns besser und strahlen etwas ganz anderes aus“, meint Roswitha Engel-Széchényi. „Wir sind optimistischer, geneigter zum Flirt, haben mehr Lust auf Sex oder darauf, uns auf jemanden einzulassen und zu verlieben.“ Das gilt übrigens für Männer wie Frauen gleichermaßen – und für Menschen jeden Alters. Dieses Aufbrechen der Natur sei überall zu beobachten, sogar für den durchrationalisierten, von der Wildnis entfremdeten Städter, wenn er den Kopf in den Nacken legt und sich die Baumkronen entlang der grauen Straßenzüge prall voller weißer Blüten offenbaren. Die Ärztin rät: „Augen aufmachen, raus gucken!“