Ein Stadtspaziergang durch das Viertel am Hans-im Glück-Brunnen erinnert an die große Altstadtsanierung von 1909. Doch das schöne Ensemble bröckelt.

Stuttgart - Es lohnt sich fast immer, mit erhobenem Kopf durch die Straßen zu gehen. Nicht nur, aber besonders im Viertel rund um den Hans-im-Glück-Brunnen. Jenem Stuttgarter Innenstadtquartier, das zwischen 1906 bis 1909 Schauplatz einer umfassenden, durchaus radikalen Altstadtsanierung war. Bevor das Viertel neu errichtet wurde, hatte der Sozialreformer und Mäzen Eduard Pfeiffer und sein ausführender Architekt Karl Hengerer die beengte mittelalterliche Bausubstanz zwischen Eberhard-, Stein- und Nadlerstraße fast vollständig abtragen lassen. Das Ergebnis dieser städtebaulichen Radikalkur war ein luftigeres, helleres und für die meist sozial benachteiligten Bewohner gesünderes Wohnquartier.

 

70 alte Gebäude wurden abgerissen

Was genau an dieser Stelle der Stadt vor über 100 Jahren geschehen ist, erklärte am Montagnachmittag vor rund 20 Interessierten der Geschäftsführer des Schwäbischen Heimatbunds Bernd Langner. „Damals wurden hier 70 Gebäude abgerissen und 33 neu gebaut“, berichtet der Architektur- und Kunstgeschichtler den Zuhörern des Stadtspaziergangs, zu dem die Stiftung Geißstraße 7 eingeladen hatte. Ziel der Sanierung war demnach nicht nur, die Altstadt unter Bewahrung der ursprünglichen Baulinien bewohnbarer zu machen. Sie sollte im ökonomischen Sinn auch aufgewertet werden.

Parallelen zu Augsburg und Bozen

Erreichen wollten das die Planer mittels eines Stadtbilds, „das es so in Stuttgart nie gegeben hat“, sagt Langner: Es ist das romantisierende Abbild einer florierenden süddeutschen Metropole der Renaissance. Authentische Varianten einer solchen Handelsstadt finden sich in Augsburg, Innsbruck und Bozen. Ein „inszeniertes Glück“, sagt Langner, das aber gleichwohl „gebaute Stadtidentität, Zufriedenheit und Gemeinschaft“ darstelle. „Es entstand eine moderne historische Altstadt. Die Gebäude wirken harmonisch und gleichzeitig gewachsen.“

Üppiger Fassadenschmuck – vor allem im ersten Stock

Teil dieser Glücksinszenierung war neben einer heimatlich wirkenden Butzenscheiben- und Erkerarchitektur auch der üppige Fassadenschmuck. Auf vielen Reliefs, die häufig auf Höhe der Beletage, also des ersten Obergeschosses angebracht sind, greifen märchenhafte Szenerien das Glücksmotiv auf. So etwa am Gebäude Nadlerstraße 10, wo Szenen aus Mörikes Geschichte vom Stuttgarter Hutzelmännlein dargestellt sind. Für die darin vorkommenden Figuren spiele das Glück eine zentrale Rolle, sagt Langner. „Von vielen dieser Darstellungen ging die pure Lebensfreude aus. Das Ziel war Bürgerstolz und Wohlstand über die Architektur zu transportieren.“

Oft ist kaum mehr Historisches erkennbar

Der Rundgang unter dem Titel „Eduard Pfeiffer und die märchenhafte Stuttgarter Altstadt“ zeigt aber auch: Das schöne Bild bröckelt. Zahlreiche Gebäude des Viertels, so Langner, seien im Lauf der Zeit stark verändert worden. So sei an der Häuserzeile entlang der Steinstraße „nur noch ganz wenig Historisches erkennbar“. Doch auch viele wenig oder gar nicht baulich überformte Häuser und ihre Fassadenverzierungen und -reliefs sind in schlechtem Zustand. Einer der Gründe: Eine Gestaltungssatzung, wie sie zum Schutz authentisch historischer Bauwerke erlassen wird, gebe es, für das Viertel bis heute nicht, so Langner. „Solange es im Rahmen des Bebauungsplans zulässig ist, kann jeder Hausbesitzer an diesen Gebäuden verändern, was er will.“