Der Stuttgarter Ausbildungscampus ist mehr als eine Beratungsstelle für junge Flüchtlinge. Deshalb ist die Einrichtung mit einem Integrationspreis der Bundeskanzlerin ausgezeichnet worden.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Drumherum ist Baustelle. An der Jägerstraße hinter der alten Bahndirektion entsteht der Tunnelanschluss für den künftigen Tiefbahnhof. Für Mona Ramezanigivi und Fatima Smeisem ist das ein alltäglicher Anblick. Die beiden 16-Jährigen kommen fast jeden Tag hierher. Der Ausbildungscampus im zweiten Stock des Hauses ist für sie zu einer zweiten Heimat geworden. „Hier treffen wir uns mit Freunden, können reden und lernen Leute kennen“, sagt Mona, die aus dem Iran stammt. Im Ausbildungscampus kann die junge Frau, die das Porsche-Gymnasium besucht, ihr ohnehin schon gutes Deutsch noch verbessern, und sie macht einen Englischkurs. Später will sie Tierärztin werden.

 

„Hier kann ich meine Hausaufgaben machen, wir haben nur ein Zimmer“, sagt ihre Freundin Fatima. Sie kommt mit ihrer vierköpfigen Familie aus dem Irak und lebt beengt in einer Flüchtlingsunterkunft. Auch Fatima, die die Werkrealschule Ostheim besucht, geht hier zum Englischkurs. Ihr schwebt vor, später vielleicht Modedesignerin zu werden oder Krankenschwester. Aber so genau weiß sie das noch nicht.

Viele Ehrenamtliche im Einsatz

Es ist aber viel mehr als die schulische Unterstützung, weshalb die beiden schwarzhaarigen Mädchen so gerne in die Jägerstraße kommen. Am Eingang steht ein Tischkicker, die Tische des Cafés sind mit Blümchen verziert, in einer Nische lädt die „Dialog-Lounge“ zum Gespräch. Am Ende des Gangs ist eine Küche mit Speiseraum, wo die jungen Leute miteinander kochen.

„Die sind hier alle so nett“, sagt Mona. „Die helfen immer gern, egal um was es geht.“ Damit gemeint sind Marcella Ulloa, Psychologin und Leiterin der Einrichtung, Projektkoordinatorin Constanze Nusser sowie eine Psychologin. Und drei Beschäftigte des Jobcenters haben hier ihren Arbeitsplatz. Dazu sind 35 Ehrenamtliche im Ausbildungscampus engagiert, in einem Mentorenprogramm, unter anderem als Sprachbegleiter oder als Helfer bei der Bewerbung.

Vertrauen schaffen als Grundlage

„Beratung alleine reicht nicht“, sagt Irene Armbruster, die Geschäftsführerin der Bürgerstiftung. „Die jungen Leute müssen erst Beziehungen aufbauen und sich hier angenommen fühlen.“ Dann klappe auch die Hinführung zum Beruf. An einem Runden Tisch der Bürgerstiftung ist die Idee für den Ausbildungscampus entstanden, mit dem Jobcenter, der Arbeitsagentur, der IHK, der Handwerkskammer, der Arbeiterwohlfahrt, dem Schulamt, den Berufsschulen und mit Vertretern von Unternehmen wie Daimler, Bosch und Porsche. Unter anderem die Wirtschaftskammern sind jede Woche mit Sprechstunden im Campus vertreten.

„Wir bauen in jedes Projekt die Beziehungspflege ein“, sagt Marcella Ulloa. Ob das nun das Sprachcafé ist oder das Feriencamp, wo die Tage stets mit einem gemeinsamen Frühstück beginnen. Auch sonst wird das Miteinander im Ausbildungscampus groß geschrieben, etwa wenn man zusammen kocht. „Wir schaffen Momente, in denen wir auf Augenhöhe sind“, betont Ulloa. Dieses Vertrauen macht es möglich, dass auch familiäre Konflikte oder Themen wie das Frauenbild oder die sexuelle Identität besprochen werden können. Diese Themen werden „meist von den Jugendlichen entwickelt“, sagt Marcella Ulloa. Dieses Beteiligungskonzept war es auch, das neben der Gestaltung des Ankommens der jungen Leute, neben der Wertevermittlung und dem Zusammenwirken von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen beim Nationalen Integrationspreis gewürdigt wurde.

Campus soll ein Lernzentrum werden

Ansprechen will die Einrichtung vor allem die rund 1400 Jugendliche, die in Flüchtlingsfamilien leben und vom Jobcenter betreut werden, darüber hinaus aber noch etwa 200 junge Leute anderer Gruppen, die Unterstützung benötigen. Circa 300 junge Leute habe man in Ausbildung oder in Praktika vermittelt. Etwa 80 Prozent der Zielgruppe erreiche man. Etwas weniger als die Hälfte komme regelmäßig.

Künftig soll der Campus noch stärker zu einem „Lernzentrum“ entwickelt werden, sagt Marcella Ulloa. Nachhilfe ist das große Thema der Einrichtung, etwa Deutsch für Azubis, die im Technikbereich oder in der Pflege tätig sind. Auch um Flüchtlingsfrauen will man sich mehr kümmern, gerade wenn sie Kindern haben. Diese Gruppe wurde bei den Integrationsanstrengungen bisher bekanntlich noch am wenigsten erreicht.

Laudator für das Stuttgarter Projekt: Sami Khedira

Auszeichnung Der Stuttgarter Ausbildungscampus ist am Montag von Kanzlerin Angela Merkel als eines der bundesweit zehn besten Integrationsprojekte ausgezeichnet worden. Die Laudatio hielt der in Stuttgart geborene Fußballprofi Sami Khedira. Er gehört der fünfköpfigen Preisjury an. Nominiert waren 33 Projekte, so viele Institutionen haben ein Vorschlagsrecht für den Integrationspreis. Der Ausbildungscampus sei vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) vorgeschlagen worden, sagte Jobcenterchef Jürgen Peeß, der die Auszeichnung mit Irene Armbruster von der Bürgerstiftung im Berliner Kanzleramt entgegennahm.

Erster Preis Den ersten Preis hat das Projekt „IQ Apotheker für die Zukunft“ der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz und des Trägers Medici in Posterum gewonnen, bei dem ausländische Apotheker zur deutschen Approbation geführt werden. Der Integrationspreis der Kanzlerin gilt als der bedeutendste Preis dieser Art.

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