Die Stuttgarter Band Die Selektion hat international Erfolg, in ihrer Heimat aber kaum Anhänger. Luca Gillian und Hannes Rief scheint das nicht weiter zu beunruhigen. Am Sonntag spielt das Duo im Stuttgarter Keller Klub.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Ungewöhnliche Menschen schlagen gerne ungewöhnliche Treffpunkte vor. Die beiden 19-jährigen Musiker Luca Gillian und Hannes Rief sehen aus wie die Blaupause westeuropäischer Hipster. Gillian trägt einen sogenannten Undercut: Die Haare an der Seite rasiert, das Kopfhaar etwas länger. Die Frisur ist als Haarschnitt des durchschnittlichen deutschen Modebloggers gefürchtet. Gillians Erscheinungsbild komplettiert ein adrettes Polohemd samt Goldkettchen, Musikerkollege Rief trägt ein kariertes Hemd, selbstverständlich darf bei beiden Herrschaften ein Dreitagebart nicht fehlen. Beide würde man in eine angesagte Bar verorten, sie bevorzugen aber eine Brauereigaststätte im Stuttgarter Süden als Treffpunkt. Größer könnte der Kontrast zwischen Kulisse und Protagonisten kaum sein.

 

Was sich bisher wie der Textbeginn einer Modezeitschrift gelesen hat, ist in Wahrheit die Annäherung über Äußerlichkeiten an eine der derzeit erfolgreichsten Bands aus Stuttgart. Gillian und Rief bilden gemeinsam die Band Die Selektion, die am Sonntag, 20 Uhr, eines ihrer seltenen Konzerte in Stuttgart im Keller Klub gibt. Obwohl erst vor zweieinhalb Jahren gegründet, haben die beiden Schüler der Waldorfschule am Kräherwald – beide stehen kurz vor dem Abitur – bereits mehr als 100 Konzerte in 13 verschiedenen Ländern gespielt.

Eine Generation der Selbstpräsentation

Musikalisch zitieren sie den New Wave der 80er, Gillian singt und spielt Synthesizer, Rief hat sein Trompetenspiel zum Markenzeichen der Band gemacht. Daneben verstehen es die Kinder der Generation Facebook, sich selbst zu inszenieren. Diese Generation weiß, dass eine vernünftige Selbstpräsentation neben den musikalischen Fähigkeiten entscheidend sein kann. Wie der Rapper Cro geben sich auch Die Selektion betont lässig und desinteressiert an allem. Wieso man die Brauerei als Treffpunkt auserkoren hat? „Wir sind entscheidungsschwach, denken nicht so gerne nach, trinken aber gerne Bier“, erklärt Rief.

In der herrlichen Holzvertäfelungskulisse, inmitten von Best Agern und Zwiebelrostbraten, erzählen die beiden ihre Bandgeschichte. Sie erzählen von ersten Gehversuchen im Jugendhaus Komma in Esslingen, weil es in Stuttgart nahezu unmöglich sei, als junge Band zu proben oder von Veranstaltern gebucht zu werden. „In Stuttgart fehlt ein offenes Ohr, hier läuft das, was boomt, und nicht das, was spannend sein könnte. Das Publikum wiederum will aber scheinbar auch nur Standard“, sagt Gillian. „Vielleicht war das überschaubare Angebot in Stuttgart aber auch gut für uns, so hatten wir wenig Ablenkung.“ Erstaunlich selbstbewusst erzählt Gillian weiter, „dass wir ehrlich gesagt nie proben“. Die Selektion habe schon erste Konzerte gespielt, da hatte sie nach eigenen Angaben erst einen Song eingespielt. Mittlerweile hat die Band, die bis vor Kurzem noch zu dritt war, eine Tour durch Italien und Auftritte in London, Wien und Paris hinter sich. Live gespielt wird in den Schulferien.

Im Ausland bekannter als hierzulande

Ihre musikalische Verbeugung vor den 80ern gefällt vor allem außerhalb Deutschlands, vielleicht, weil die Fans die deutschen Texte dort nicht ganz so kritisch hinterfragen. In Stuttgart hat die Band kein großes Standing. Dabei liefert Die Selektion laut der Zeitschrift „Vice“, einer Fibel für Berufsjugendliche, live eine „Hormon-rauschende Performance aus Muskeln und Kunst“ ab. Luca Gillian: „Früher habe ich ab dem zweiten Lied das T-Shirt ausgezogen, mich mit Bier übergossen und bin ins Publikum gesprungen. Heute geht das nicht mehr ganz so gut, weil unsere Texte anspruchsvoller geworden sind und ich mich besser konzentrieren muss.“ Ihren ungleich erfolgreicheren Altersgenossen Cro finden die beiden Teenager übrigens nicht ganz so stark: „Der ist ätzend, zeigt aber, dass alles eine Frage der Promotion und der Musikrichtung ist.“

Sympathische Schnurre am Rande: ihre erste Veröffentlichung brachten Die Selektion auf einem Berliner Label als Musikkassette heraus, das Werk wurde anschließend auch noch auf Vinyl in kleiner Stückzahl produziert und ist mittlerweile ausverkauft. Die digitale Generation hat also doch noch ein Gespür für echte Werte.