Drei Stuttgarter Berufspendler erzählen ihre Mobilitätserfahrungen. Die Bahn kommt dabei ganz gut weg, die Radwege in Stuttgart seien eine „Totalkatastrophe“.

Stuttgart - Nachhaltige Mobilität ist eines der großen Themen unserer Zeit. Auch in Stuttgart wird viel darüber diskutiert. Die Landesregierung hat sich gerade mit der ÖPNV-Strategie 2030 große Ziele gesetzt: „größeres Angebot, dichtere Takte, bessere Vernetzung, attraktive Tarife, gute Fahrzeuge und Infrastruktur sowie Vorrang für den ÖPNV“. Unter der Dachmarke „bwegt“ werden alle Maßnahmen dafür gebündelt, damit die Zahl „der jährlich gefahrenen Personenkilometer“ bis 2030 verdoppelt werden kann. Drei zufällig ausgewählte Stuttgarter probieren das schon aus – und berichten von ihren Erfahrungen mit Rad, Bahn und Auto.

 

Pedelec statt Dienstwagen

Miriam Teige hatte viele Jahre lang den Luxus eines Firmenwagens. Als die alleinerziehende Mutter vor einigen Jahren den Arbeitsplatz wechselte, fiel dieses Privileg, wie sie es selbst nennt, weg. Die 51-Jährige hatte sich ihren neuen Arbeitgeber, die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW), ganz bewusst ausgesucht. „Ich wollte nicht mehr Dutzende von Kilometern pendeln“, sagt sie. Und sie traf noch eine Entscheidung: Sie wollte sich kein eigenes Auto kaufen. „Da hab ich mir den Traum eines schönen E-Bikes erfüllt, mit dem ich jetzt fast alle Fahrten erledige. Das ist mein persönlicher Beitrag zum Umweltschutz.“

Teige ist Pressesprecherin für den Bereich Windenergie und wohnt in Degerloch. „Ich habe eigentlich Mobilitätsluxus pur“, sagt sie. Mit dem Rad dauert es 15 Minuten bis zu ihrem Arbeitsplatz im Fasanenhof. Wenn es regnet, kann sie zwischen zwei fußläufig erreichbaren Stadtbahnhaltestellen wählen und ohne umzusteigen bis zur EnBW-City fahren. Runter in die Stadt kommt sie per Pedelec über den Schimmelhüttenweg oder mit der Zacke. Und wenn sie einmal ein Auto braucht, hat sie zwei Car-Sharing-Fahrzeuge gleich um die Ecke.

„Totalkatastrophe“

Mit der Stadtbahn ist sie „total zufrieden“, Bahn fährt sie auch, zuletzt beruflich zu einer Messe nach Husum, sieht da aber noch viel Luft nach oben. Und die Radwege in Stuttgart bezeichnet sie als „Totalkatastrophe“. Stuttgart sei eine Autostadt, keine Fahrradstadt. Natürlich gebe es Menschen, die das Auto bräuchten, vor allem auf dem Land. Aber in Städten wie Stuttgart müssten alle Mobilitätsformen gleichermaßen berücksichtigt werden. Ihre Wünsche für die Mobilität der Zukunft: eine Modernisierung der Bahn auf einen zeitgemäßen Zustand, dann würde sie sich auch eine BahnCard kaufen. Und „eine richtig tolle Fahrradinfrastruktur“, wie es sie beispielsweise in den Niederlanden schon gebe und wie sie gerade in Paris geschaffen werde.

Firmenwagen oder Bahn

Martin Klingler hat einen Firmenwagen. „Wenn man ihn hat, heißt das aber nicht, dass man ihn auch die ganze Zeit nutzen muss“, sagt er und fährt gerade öfter mit der Bahn nach Schwäbisch Hall. Klingler ist Direktor Marketing/Digitalisierung der Agentur marbet, einem Unternehmen der Würth-Gruppe, mit Sitz in Hall. Der verheiratete Familienvater wohnt im Stuttgarter Norden, den Hauptbahnhof erreicht er per Kurzstrecke oder Roller, und er ist schon früher täglich mit dem Zug nach Frankfurt zu einem früheren Arbeitgeber gependelt. „Man muss sich dagegen wehren, alles mit dem Auto zu tun, weil es umsonst ist“, sagt Klingler. Etwa eine Stunde braucht er mit der Bahn bis Schwäbisch Hall. „Das Auto braucht manchmal länger, schneller schafft man es auf keinen Fall.“ Im Zug könne er Projekte durchdenken, Texte redigieren, Mails abarbeiten oder etwas lesen.

„Ganz easy“

Klingler hat jede Stunde Anschluss, „das reicht mir von der Flexibilität“. Und umsteigen müsse er auch nicht. Er wünscht sich lediglich eine bessere technische Anbindung, also WLAN, vielleicht auch mal gemütlichere Sitze. Aber insgesamt sagt er: „Für mich ist das sehr komfortabel und ganz easy.“ Jetzt will er das Thema Bahnfahren in sein Jahresendgespräch einbringen – und auch zu manchen Kunden mit dem Zug fahren.

Umsteigen ist Stress

Julia Kühne fährt nur noch selten mit dem eigenen Auto. Sie wohnt mit ihrer Familie im Stuttgarter Süden, ist seit 2008 Geschäftsführerin der Kommunikations- und Design-Agentur Gold & Wirtschaftswunder in der Christophstraße in Stuttgart-Mitte – und sie ist Professorin für Gestaltungsgrundlagen und medienübergreifende Designkonzepte an der Hochschule Mainz. Deswegen pendelt sie seit rund zehn Jahren zumindest in der Vorlesungszeit einmal die Woche von Stuttgart nach Mainz und zurück. „Ich bin in der ganzen Zeit ein einziges Mal mit dem Auto gefahren, weil ich dachte, es geht schneller. Das war ein Fehler, das mache ich nicht noch mal“, erzählt sie. Sie fährt Bahn, allerdings versucht sie dabei immer, Direktverbindungen zu nehmen. „Lieber fahre ich eine Stunde länger.“ Bei Umsteigeverbindungen müsse man schon Gelassenheit mitbringen. „Dass man immer Sorge hat, den Anschluss zu verpassen, ist schon Stress.“

Andererseits sagt die erfahrene Bahn-Pendlerin auch: „Ich kann das Gejammere über die Bahn nicht so richtig unterschreiben.“ Vieles könne man in einem so großen Land mit so vielen Reisenden einfach nicht planen, egal ob Unwetter oder Unfall. „Trotzdem geht es immer irgendwie“, sagt Julia Kühne. „Ich habe es noch nie erlebt, dass ich abends nicht nach Hause gekommen bin.“ Und: „Die Zugbegleiter sind ausgesprochen nett und freundlich.“ Gerade die müssten sich viel anhören, seien oft „der Mülleimer“ für die Reisenden. Diese sind nach ihrer Einschätzung in den vergangenen zehn Jahren sehr viel rücksichtsloser geworden, egal ob es um lautes Telefonieren, das Anschauen von Videos ohne Kopfhörer oder auch um andere Egoismen gehe.

WLAN funktioniert nicht

Die Ticketpreise findet die BahnCard-Besitzerin bei den Sparpreisen gut, der Preis mit voller Zugflexibilität sei aber happig. Sie erlebt auch manchmal, dass die Züge „in einem schäbigen Zustand“ seien, über nicht funktionierendes WLAN will sie gar nicht erst sprechen. Einen Tipp für die Bahn hat sie auch, ohne dass sie sich anmaßen will, es besser zu wissen: Sie glaubt, dass Bahnfahren für viele Menschen einfacher wäre, wenn die Umsteigezeit großzügiger bemessen wäre. „Die Planung geht nach meinem Eindruck vom Best Case aus, also dass alles passt. Aber so funktioniert es nie im Leben.“