Heidi Rehse gibt Menschen eine Ausdrucksform, wenn es die Welt nicht gut mit ihnen meint. Für ihr Engagement ist sie nun ausgezeichnet worden.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Wenn Heidi Rehse erzählt, sitzt sie zwar am Tisch. Aber man spürt, dass sie sich jetzt eigentlich gerne bewegen würde, um zu zeigen, wie Tanz die Menschen verändern kann. Wie er Selbstbewusstsein vermitteln kann – jenseits artistischer Fähigkeiten. Denn mit Tutus und Spitzenschuhen hat das nichts zu tun. Heidi Rehse ist eine von zehn Stuttgartern des Jahres 2018. Das ist ein Ehrenamtspreis, den die Stuttgarter Versicherung gemeinsam mit der Stuttgarter Zeitung zum fünften Mal ausgelobt haben und der am 1. April 2019 bei einer Benefizgala im Stuttgarter Veranstaltungszentrum Wizemann offiziell verliehen worden ist.

 

Wenn die Stuttgarterin vom Tanz erzählt, geht es um Menschen, denen er als Sprache eine Möglichkeit gibt, sich auszudrücken. Wer eine Sprache hat, der kann sich zu Gehör bringen. Rehse spricht von Menschen, die „sonst keinerlei Aufmerksamkeit“ erfahren würden, deshalb sind ihre Tanzworkshops auch „eine sehr politische Arbeit“. Tanz – wie sie ihn versteht – heißt Community Dance und schafft Gemeinschaft.

Im Idealfall übernehmen die einheimischen Lehrkräfte das Projekt

Zum Beispiel in Sierra Leone. In das westafrikanische Land wird sie Ostern zu einem weiteren Tanz-Workshop ihres Vereins Salamaneque aufbrechen. Seit Jahren arbeitet der von ihr gegründete Verein dort mit den Salesianern Don Boscos zusammen und kümmert sich um Menschen, denen es an allem fehlt: Essen, Schutz und Teilhabe. Mit Jungen und Mädchen und Jugendlichen, die erst mal etwas zu essen brauchen, bevor es losgeht. So schwach sind sie. Die durchschnittliche Lebenserfahrung dort liegt bei 42 Jahren. Rehse ist überzeugt. „Jeder hat Kompetenz.“

Am Ende ihrer ein- oder zweiwöchigen Projekte steht meist eine Aufführung, wo manche Eltern ihre bislang verhuschten Kinder plötzlich mit anderen Augen sehen, weil sie mit einem Mal über sich hinauswachsen. Das trägt und soll auch über die Projektzeit hinaus tragen. Im Idealfall übernehmen die einheimischen Lehrkräfte das Projekt. Und trotzdem kommt Heidi Rehse immer wieder. Inzwischen ist das Pendeln zwischen Deutschland und Afrika „ein Wechsel zwischen zwei Orten, an denen ich zu Hause bin“. Das Elend und der Hunger gingen ja weiter, wenn sie wegfahre, sagt Rehse nachdenklich.

In Rio de Janeiro machte sie eine Tanzausbildung

Als andere während der Ebola-Epidemie noch überlegt haben, was ihnen dort alles widerfahren könnte, war die dreifache Mutter schon dort. Es war von Vorteil für sie, dass sie außer ihrem brasilianischen Diplom als staatlich geprüfte Tänzerin in afro-amerikanischem Tanz auch ausgebildete Traumatherapeutin ist. In dem Land, wo Kinder ihre Eltern verloren und das Haus nicht verlassen durften, weil alle vor ihnen Angst hatten, fühlte sie sich damals am richtigen Platz. So wie jetzt in ihrer deutschen Heimat, wo sie Tanzgruppen mit Geflüchteten anbietet. Und wie vorher in Indien, Ghana, Liberia oder Ruanda und zu Beginn ihres Leben als Tänzerin in Brasilien.

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Dorthin war sie im Rahmen eines Studentenaustausches aufgebrochen. 20 Jahre alt war sie da. Das Studium der Sozialpädagogik hatte sie nach zwei Semestern abgebrochen, weil sie sich zu jung fand, um anderen den Weg durch die Welt zu weisen. In Rio de Janeiro in Brasilien machte sie eine Tanzausbildung und wurde irgendwann in ein Tanzprojekt mit Kindern in den Favelas gerufen. In der Arbeit dort geht es auch darum, die Kinder in einer feindlichen Umwelt gegen Gewaltübergriffe zu stärken. Salamaleque, den portugiesischen Namen des Vereins, haben die Kinder dem Projekt gegeben. Es heißt übersetzt quirlig oder lebendig.