Adleraugen sind extrem scharf – und sie sehen auch zur Seite gut. Stuttgarter Forscher haben sich nun bei der Natur etwas abgeschaut. Ihre Sensoren bilden das Adlerauge nach. Die Technik könnte der Industrie helfen: bei selbstfahrenden Autos.

Stuttgart - Bei einem solchen Durchblick hat die Maus keine Chance: Adler können ihre Beute aus einer Höhe von drei Kilometern auf einer Wiese erkennen. Forscher der Uni Stuttgart haben sich nun die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Raubvögel zum Vorbild genommen: Sie entwickelten Sensoren, die das Adlerauge nachbilden – auf einem Chip werden winzige Linsen hergestellt. Diese Mikro-Objektivlinsen könnten künftig als Kameras beispielsweise in der Automobilindustrie zum Einsatz kommen.

 

Die Forschung made in Stuttgart könnte schon bald von der Industrie genutzt werden. „Neben der Autoindustrie wäre die Technik auch in der Medizin und für die Hersteller von Smartphones interessant“, sagt Harald Giessen vom Physikalischen Institut an der Uni Stuttgart. Giessen und sein Team entwickelten das „künstliche Adlerauge“ gemeinsam mit Simon Thiele vom Institut für Technische Optik. Ihre Arbeit wurde von der Baden-Württemberg-Stiftung und dem Bundesforschungsministerium unterstützt.

Mit dem 3-D-Drucker erstellt

Bei der Lösung ihrer technischen Frage ließen sich die beiden von der Natur inspirieren: Ein Adler hat extrem viele Sehzellen in der sogenannten zentralen Fovea – einem Bereich in der Mitte seines Auges. Darüber hinaus können die Vögel jedoch auch auf beiden Seiten scharf sehen, dort befindet sich eine zweite Fovea. Dies unterscheidet sich beispielsweise vom menschlichen Sehvermögen, das am Rand nur noch unscharfe Eindrücke ermöglicht.

Die Stuttgarter Forscher entwickelten nun eine Reihe von Mikro-Objektivlinsen mit verschiedenen Brennweiten. Einige von ihnen entsprechen einem Weitwinkelobjektiv, andere haben mittlere oder lange Brennweiten. Der Clou: die Wissenschaftler druckten die winzigen Linsen mithilfe eines 3-D-Druckers passgenau auf einen Chip. Der 3-D-Drucker ermöglicht laut Harald Giessen, eine „superflotte Umsetzung“ der zuvor am Computer errechneten Vorgaben. In der Praxis werden alle vier Bilder, die die Linsen auf dem Chip erzeugen, gleichzeitig elektronisch verarbeitet.

Einsatz in selbstfahrenden Autos

Aus diesen vier Einzelbildern entsteht auf diese Weise ein scharfes Gesamtbild: das „künstliche Adlerauge“. Über dieses Forschungsergebnis berichten die Stuttgarter Wissenschaftler nun in der Zeitschrift „Science Advances“. Sie können darauf hoffen, dass ihre Erkenntnisse nicht nur in Fachkreisen wahrgenommen wird.

Autofahrer könnten in einem künftig selbstfahrenden Fahrzeug von der Technik profitieren: Nach vorne soll die Kamera besonders scharf sehen, Hindernisse erkennen und den Abstand zum Vordermann richtig einschätzen – gleichzeitig soll die Kamera aber auch seitlich den Raum erfassen. Dazu brauchte man bisher eine ganze Reihe von Kameras und Sensoren rund um das Fahrzeug oder eine rotierende Kamera auf dem Dach.

Die neuartige Kamera der Stuttgarter Forscher wurde bereits an verschiedenen Objekten getestet, sie könnte die Technik des Rundumblicks von selbstfahrenden Autos vereinfachen und verbessern. Harald Giessen hatte dazu schon verschiedene Anfragen aus der Industrie. In der Medizin könnte die Endoskopie davon profitieren, auch neuartige Minidrohnen könnten mit dem Linsensystem ausgerüstet werden.