Ein Kunstwerk ist die schwäbische Brezel – und eine Glaubensfrage, angeblich vom Aussterben bedroht. Unser Kolumnist Uwe Bogen hat sich in der Schulküche der Stuttgarter Bäckerinnung als Brezelbäcker versucht.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Der französische Präsident Emmanuel Macron setzt sich dafür ein, das Baguette in das immaterielle Weltkulturerbe der Unesco aufzunehmen. Recht so! Die französische Weißbrotstange ist ein schützenswertes Gut – wie die schwäbische Brezel, die sich ebenfalls auf der Liste des knusprigen Menschheitsstolzes gut machen würde.

 

Die Debatte über die schwäbische Brezelform, die vom Aussterben bedroht sein soll, zeigt: Was mit Butter oft gedankenlos bestrichen wird, ist eine Glaubensfrage.

Geht es Ihnen auch so, liebe Leserinnen und Leser? Seit in Internetforen das Thema hochkocht, schauen viele genauer hin, wie dünn, also wie schwäbisch, die Ärmchen einer Brezel sind. Sind wir von Bayernbrezn unterwandert? Oder gar von unmenschlichen Schlingmaschinen?

Wie formt man eine Brezel?

Die vier wichtigsten Zutaten einer schwäbischen Brezel sind Heimatliebe, Leidenschaft, Zeit und Stolz. Mit diesem Wissen fahre ich in eine Backstube beim Wilhelmsplatz. Die SWR-Hauptabteilung Kommunikation, Presse und PR hat Medienleute zur Landesinnung der Bäckerzunft eingeladen. Das Hintergrundkneten ist ergiebiger als jedes Hintergrundgespräch und hat beim Sender eine schützenswerte Tradition. So erfährt man Dinge, die man sonst nicht erfährt. Obendrein kann man beim aktuellen Aufreger um Backware anders mitreden, wenn man mal selbst versucht hat, eine Brezel zu formen.

Puuh! Unsere Lehrer werfen die gerollte Teigwurst in die Luft, auf dass sie sich wie von alleine verdreht und in die richtige Form fällt. Zwar trage ich eine Schürze, auf der „Bäcker“ steht – doch zum Schlingenwurf bin ich zu doof.

Auch Maschinen machen kleine Ärmchen

Meine eigenen Arme sind dünn – Journalist eben, der mit dem Kopf arbeitet. Die Arme meiner Brezel indes sind dicklich – verdammt, sie sind unschwäbisch!

Je dünner die Arme sind, desto dicker wirkt der Bauch. Wer das Prinzip des Kontrastes versteht, hat den Schwabenerfolg drauf. Auf Raffinesse kommt es an, darauf, wie etwas Knuspriges klein bleibt, damit etwas anderes groß wird.

Sonst bringt Tobias Pfaff, der stellvertretende Leiter der Württembergischen Bäckerfachschule, Azubis bei, wie man Sauerteig ansetzt oder wie die Rübli-Torte gelingt. Jetzt gibt er Medienvertretern einen Schnupperkurs im Schlingen. Sie sollen nicht nur normale Brezeln machen, sondern größere Neujahresbrezel, ungelaugt, mit geflochtenem Kranz.

Pfaff, der für unsere Zeitung bei einer Blindverkostung die besten Brezeln der Stadt ermittelt hat (von 19 Testexemplaren schafften es 15 in die Kategorie „Typisch schwäbische Brezel“), stellt klar: An dünnen Ärmchen einer Brezel lässt sich nicht mehr erkennen, ob sie made by Bäckerhand entstanden ist. Roboter bekommen die schmale Schlingform längst ebenso hin. Um mit einer Großproduktion überall Geschäfte machen zu können, wird für den Brezelrohling ein Kompromiss gewählt, der den Bayern und den Schwaben in etwa gleichermaßen gefällt.

Das knusprigste Denkmal der Schwaben

Der Fettanteil der bayerische Brezn ist niedriger. Deren dicken Arme sind deshalb plump und weich, wie wir Schwaben finden. Die Bayern dagegen sagen: An einer gscheidn Brezn muss was dran sein.

Pessimisten sehen an einer Brezel nur die Löcher. Schwaben rühmen die Fülle des Geschmacks. Brezel, wir lieben dich! Wir wollen dich so frisch wie in der Schulküche der Bäckerzunft. Teiglinge aus der Tiefkühltruhe dürfen mal sein, aber sie machen nicht auf Dauer glücklich. Mit dem Schwabenstolz ist Fertigware nicht zu vereinbaren. Ein Kulturerbe zum Aufbacken – nein, so weit ist die Unesco zum Glück noch nicht. So wahr die Brezel das knusprigste Denkmal der Schwaben ist.