Mathias Richling, Star des deutschen Kabaretts, liest Print und misstraut Facebook und Co. Wir sprachen mit dem Stuttgarter über Anstand in der Politik, Kretschmann vs. Eisenmann, grottenschlechten Umgang und Greta Thunberg.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Am Freitag, 6. Dezember, 20 Uhr, feiert Mathias Richling, der Derwisch des deutschen Kabaretts, unter der Regie von Günter Verdin im Theaterhaus Stuttgart-Premiere seines Programms „#2019“.

 

Herr Richling, Ihr satirisches Arbeitsfeld, die deutsche Politik, ist an einem unglaublichen Tiefpunkt angekommen. Überall nur Streit, Wut, Kämpfe. Ist’s in Ihrer langen Kabarettistenlaufbahn schon mal so dicke gekommen?

Ja, dauernd. Erinnern Sie sich nicht an Kohls Zeiten? An das Aussitzen jeglicher Skandale? An Bräsigkeit und Mehltau in der Politik? Erinnern Sie sich nicht an die Konservativierung einer gewissen sozialdemokratisch genannten Partei durch einen Gerhard Schröder? An die Spaltung der Grünen in Fundis und Realos? An den Verrat Genschers und seiner FDP an Helmut Schmidt? An Kalten Krieg und Aufrüstung? An Atomkraftwerke und Sitzblockaden? An die Definition von nur sitzenden Demonstranten als Gewalttäter und den Einsatz von C-Gas gegen diese? Nein, Politik war immer wieder tief gefallen. Nur empören wir uns heute schneller, weil wir durch die Neuen Medien mehr und rascher von ihr erfahren.

Am meisten empört sich Herr Merz. Er spricht von einem grottenschlechten Bild der Regierung. Was für ein Bild gibt der Herr selbst ab?

Herr Merz macht das, was alle machen, wenn sie ein Foto von etwas machen: Sie müssen immer selbst mit drauf sein. Egal, ob Tadsch Mahal oder Brandenburger Tor, egal ob Frau Merkel oder Herr Schäuble: wenn die fotografiert werden, muss es mit einem Selfie sein. Herr Merz hat sich mit seiner Bemerkung vor allem selbst abgebildet. Denn es ist eine gute Gepflogenheit von Alters her, dass der Chef oder der, der Chef sein will, oder der, der sich als Chef fühlt, über die, von denen er meint, sie sind ihm untergeben, vor anderen nicht schlecht spricht. Auch wenn er recht hat. Es ist eine Frage von Anstand. Für ein Bild von Herrn Merz reicht es dazu nicht.

Reicht es wenigstens für eine Zukunft von Frau Merkel aus?

Frau Merkel hat natürlich eine Zukunft. Und die liegt in ihrer Vergangenheit. Je vergangener sie sein wird als Kanzlerin, umso mehr wird sie unsere Zukunft bestimmen. Denn der Mensch, insbesondere der deutsche Mensch, neigt dazu, das herbeizusehnen, was er nicht hat oder was nicht mehr hat. Mit Frau Merkel wird es uns nicht anders gehen. Und wenn wir uns nur danach sehnen werden, noch einmal schimpfen zu können, welche Stellung Frau Merkel nicht bezogen hat und wo sie kein klares Konzept hatte. Denn so eindeutig, wie sie uneindeutig war, wird so schnell nicht wieder ein neuer Kanzler sein.

„Wir sind selbst der Tsunami“

Und wie sieht die Zukunft der SPD aus?

Also, es ist schon auch Zeichen der Zeit, dass Sprache inzwischen nicht nur geschrieben, sondern auch noch gesprochen wird in Kürzeln, Abkürzungen und Buchstabenfolgen wie LOL, RUFL, OMG, LG, ILD, MfG und so weiter. Meistens weiß man natürlich, was das heißt. Aber was, bitte, ist jetzt noch mal SPD?

Außerdem gibt’s Fridays for Future. Können die Jungen richten, was die Alten nicht hinbekommen?

Natürlich nicht. Deswegen ist es ja so wichtig, dass sie auf die Straße gehen. Denn die Forderungen, die sie hat, die Jugend, sind allesamt Forderungen, die wir Satiriker, Umweltbewusste und Wachstumskritische immer schon herausgerufen haben. Die Grünen haben sich vor 40 Jahren deshalb gegründet. Und? Wie weit sind wir gekommen? Nein, es wurde Zeit, dass aus den Einsichten endlich eine Massenbewegung wurde.

Aber was sind die Folgen?

Gut, wenn wir alle Wünsche von Fridays for Future umgehend erfüllt bekämen, was zum Beispiel CO2 angeht, müssten Autos, Kühlschränke und Heizungen abgeschafft werden. So weit wird es sicher nicht kommen. Aber was haben wir vor 40 Jahren getan bei der Stationierung von Pershing-2-Raketen auf deutschem Boden? Wir waren nicht nur freitags, wir waren wochenlang auf der Straße. Was haben wir getan gegen AKWs? Die Jugend war Monate auf der Straße. Gesessen. Es hat vielleicht nicht oder selten zum sofortigen Erfolg geführt, aber es hat ein neues Bewusstsein geschaffen. Und es hat dann doch noch gedauert, bis der Atomausstieg beschlossen wurde. Genauer gesagt, bis zum Tsunami von Fukushima. Auf so einen Tsunami will die Jugend heute nicht mehr warten. Zu Recht. Und deswegen sagt sie: Wir sind jetzt selbst der Tsunami. Mal sehen, ob wir nicht doch was ändern.

Wie ist Ihre ganz persönliche Klimabilanz?

Großartig.

„Susanne Eisenmann gerät noch nicht unter Erfolgsdruck“

Na Glückwunsch! Kretschmann, Ihr Held, tritt erneut an mit über 70. Ist ja kein Alter. Sollte Susanne Eisenmann angesichts ihrer geringen Chancen gegen Kretschmann daheim bleiben, darauf warten, bis sie 70 ist, und es dann versuchen?

Natürlich sollte Frau Eisenmann nicht daheim bleiben. Auch wenn Kretschmanns Sympathiewerte bei 67 Prozent liegen. Es macht auch ihm keinen Spaß zu siegen, wenn er gar keinen Gegner hat. Und Susanne Eisenmann gerät so nicht unter Erfolgsdruck. Konrad Adenauer war 87 Jahre alt, als er von Ludwig Erhard als Bundeskanzler abgelöst wurde. Da hat Frau Eisenmann noch genug Zeit, sich ausgiebig auf das Amt des Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg vorzubereiten.

Bisher hat Fritz Kuhn nicht erklärt, ob er noch mal bei der OB-Wahl kandidiert. Haben Sie ihm einen Tipp?

Nein. Man muss auch mal einsehen, wann es zu spät ist für einen Tipp.

In Ihrem Programm „Richling #2019“, mit dem Sie im Theaterhaus Stuttgart-Premiere feiern, stellen Sie die Kanzlerin als Mischung aus Mutter Teresa und Greta Thunberg dar. Wird Sie von Ihnen da nicht etwas erhöht?

Wie kommen Sie auf diese Idee? In diesem neuen Programm hat Günter Verdin als Regisseur den Abend so inszeniert, dass wir uns von Vorlagen aus der Malerei bedienen, von Leonardo angefangen bis Picasso. FDP-Lindner erscheint uns als „Wanderer über dem Nebelmeer“ (Caspar David Friedrich) und Merkel als „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ von Jan Vermeer. Mit blauem Haarschopf, weil sie hofft, damit dem Youtuber Rezo Fans abzuluchsen. Wie man daraus eine Erhöhung der Bundeskanzlerin ableiten kann, ist mir unerklärlich. Und spricht eher für den Wunsch des betreffenden Zuschauers, der das sich so herleitet.

Dann erklären Sie’s mir!

Durch die Verbindung der vorkommenden Politiker mit größten Kunstwerken der Malerei erheben wir sie vielleicht, gleichzeitig werden sie aber in ihren typischen Wesenszügen karikiert. Annegret Kramp-Karrenbauer charakterisieren wir etwa in ihrer Diffusheit mit einem Picasso-Frauenporträt.

„Der Hashtag ist nur ein unschuldiges optisches Zeichen“

In Ihrem Programmtitel steckt ein Hashtag. Bei Twitter, Instagram und Co. sieht man Sie nie. Wer hat Ihnen einen Digital-Crashkurs gegeben? Waren Sie digital unterversorgt? Lesen Sie lieber Print?

Erstens niemand, zweitens nein, drittens ja. Mein Misstrauen gegenüber Facebook, Google und Konsorten bleibt begründet grenzenlos. Der Hashtag ist bei mir nur ein unschuldiges optisches Zeichen. Wenn Sie unter #2019 googeln, finden Sie Hinweise auf die Pfingstferien 2019 oder die Neueröffnung einer Bar in Freiburg. Mein Hashtag ist keine Anbiederung an die sozialen Medien, sondern ein ironisches Zitat und damit die kürzeste Satire, die überhaupt möglich ist.